Andrew D. Miller: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe, gebundene Ausgabe: 288 Seiten, Verlag: S. Fischer; Auflage 1 (17. August 2012)

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
marionhh Avatar

Von

Nick, ein britischer Anwalt Ende dreißig, arbeitet für seine Firma in Moskau. In Russland wird zu dieser Zeit viel Geld investiert, und nicht immer läuft alles legal ab. Es ist das Schlaraffenland der Oligarchen, Geld ist Macht, Drogen, Alkohol und Mädchen gehören zu jedem Geschäftsabschluss dazu. Zu selben Zeit, als ein neuer Großauftrag die Firma beschäftigt, lernt Nick Mascha und Katja kennen und verliebt sich rettungslos in Mascha. Mit den beiden jungen Frauen lernt Nick nach und nach die wahre Dekadenz kennen: illegale Nachtclubs, teure Restaurants, Datschas, Reisen nach Odessa. Die beiden jungen Frauen machen ihn bald mit Maschas Tante Tatjana bekannt, die ihren Lebensabend in ihrer Heimat verbringen will und daher ihre ihre zentral gelegene Stadtwohnung gegen eine Wohnung auf dem Land tauschen will. Neben seiner Arbeit und dem Großauftrag des Kosaken kümmert sich Nick nun um die Beschaffung alle legalen Papiere, um den Wohnungstausch in die Wege zu leiten und merkt dabei viel zu spät, dass nichts ist wie es scheint...

Miller beschreibt sehr eindringlich die Dekadenz und Verschlagenheit der russischen Gesellschaft. Geld ist Macht, die Schere zwischen arm und reich klafft meilenweit, junge hübsche Mädchen suchen sich reiche Männer, um ihrer Armut zu entfliehen. Die Nachtclubs scheinen nur aus reichen Ausländern und noch reicheren Russen und aus Prostituierten zu bestehen. Die Menschen machen alles für Geld, alles hat seinen Preis, jeder ist bestechlich. Es ist kein schönes Russland, das Miller da beschreibt, die Landschaft rau, die russische Seele gebeutelt, die Menschen entweder skrupellos oder resigniert.

In Briefform beschreibt Nick seine Erlebnisse seines letzten Jahres in Russland. Er richtet sich damit offensichtlich an seine Verlobte, will ihr die ganze Wahrheit sagen über sich und was damals wirklich geschah. Mehrfach spricht er die Unbekannte an, und mit jeder weiteren Seite reflektiert Nick mehr über sich und seine Taten und Motive. Hätte er die Wahrheit eher erkennen können, ja müssen? Schonungslos mit sich selbst deckt er seine Mithilfe an dem Betrug auf und versucht seine Motive mit seiner Liebe zu Mascha zu erklären. Der Leser fühlt sich dadurch bald selbst angesprochen und kann nicht umhin zu (ver)urteilen.

Der Betrug ist entsetzlich und doch gang und gäbe, Nick macht sich zum Anwalt von Kriminellen, für die Menschen nichts zählen und denen es nur ums Geld geht. Die Anzeichen der wahren Hintergründe sind auch für Nick sichtbar, allein er will sie nicht sehen. Krampfhaft hält er an seiner Illusion der großen Liebe und der gemeinsamen Zukunft mit Mascha fest. Selbst seine Arbeit leidet darunter, und auch alles andere macht er nur noch halbherzig, wie die Suche nach dem besten Freund seines Nachbarn, dessen Tod und die Mutmaßungen des Polizisten ihm jedoch schließlich den Spiegel vor Augen halten. Er lässt sich von der scheinbaren Freundlichkeit und und Loyalität der Menschen, besonders des Kosaken und Maschas, einlullen und alle Anzeichen und Warnungen ignoriert er. Beinahe emotionslos stellt er am Ende fest, dass er von allen Seiten benutzt worden ist und nicht nur viel Geld verloren hat, sondern auch zurück nach England versetzt wird, zurück in sein trostloses Leben, zu dem er am Ende auch seine Verlobte zählt. Einzig bei seiner letzten Beichte ist er ehrlich: Russland und Mascha lassen sich nicht aus seinem Gedächtnis streichen, es ist der einzige Verlust, der ihn wirklich berührt. Spätestens jetzt sollte ihn jede vernünftige Frau zum Teufel jagen.

Fazit: Ein Roman eines charakterlich schwachen Menschen, der nicht wirklich unsympathisch ist, dem man jedoch ein bisschen mehr Rückrat wünscht. Mit Liebe allein lässt sich leider nicht alles entschuldigen. Durchaus eindringlich beschreibt Miller die russische Gesellschaft, ihre Dekadenz und ihre Gier. Nicks Einsichten kommen leider zu spät, und auch wenn er sich lediglich an die Masse anpasst, so entschuldigt es nicht seine Unfähigkeit zu handeln, als es noch möglich gewesen wäre.

Leider konnte ich mich weder mit Nick noch mit den anderen Protagonisten anfreunden, die alte Dame und der Nachbar tun mir Leid, aber mehr auch nicht. Die Russen entsprachen leider irgendwie alle dem Klischee, das man von ihnen hat, und nähren so die Vorurteile. Alle sind geldgierig und bestechlich, denken nur ans Geld und prostituieren sich oder morden dafür. Ein Menschenleben ist nichts wert, jeder ist sich selbst der Nächste, und die Regierung tut sowieso nichts. Ein Roman, der einen negativen Beigeschmack auf der Zunge zurücklässt.