Liebe auf den zweiten Blick

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
tochteralice Avatar

Von

Das ist es , was ich für diesen Roman empfunden habe - sie ist zwar nicht frei von Einschränkungen, dafür aber mit Sicherheit beständig!

Der Einstieg in die Geschichte - der Protagonist beschreibt die späte Liebe seines Vaters zu der (ost)deutschen Hammerwerferin Betty Heider (einer real existierenden Sportlerin und Olympiasiegerin), die sich nur über den Fernseher manifestiert hat und jahrelang nachhallte - ist einer der witzigsten im Bereich der Gegenwartsliteratur überhaupt, die mir je begegnet sind. Doch dann wird die Geschichte langatmig - das habe zumindest ich empfunden, die ich mir die weitere Handlung ein wenig aufzwingen musste, hatte ich mich doch bereit erklärt, dieses Buch umfänglich zu rezensieren. Ein Glück, muss ich im Nachhinein sagen: Andernfalls hätte ich es im Leben nicht beendet und mir wären viele wunderbare kleine Episoden - damit brilliert Autor Ernest van der Kwast - vorenthalten geblieben, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Und nicht wenige davon sind wahr, hat der Autor seine Geschichte doch in ein Setting zwischen zwei Berufsstände, die unterschiedlicher nicht sein können, angesiedelt. Einerseits die Herstellung und der Verkauf von Speiseeis, andererseits die professionelle Beschäftigung mit Lyrik, die Giovanni, der älteste Sohn der Familie Talamini, gegen den Willen seiner Eltern, zum Beruf erwählt, anstatt das elterliche Eiscafé in Rotterdam zu übernehmen. Das macht dann der jüngere Bruder - nur ein Meilenstein in der Dynamik, ja lebenslangen Konkurrenz der geschwisterlichen Beziehung.

Ganz klar: Ernest van der Kwast kann schreiben. Ganz wunderbar sogar, ist doch sein kleiner Roman "Fünf Viertelstunden bis zum Meer" einer meiner All-Time-Favourites und definitiv alles andere als ein Romänchen. Nein, er hat Kraft, Eleganz, Eloquenz, Ideen und ist von einer Klugheit beseelt, die ihresgleichen sucht. Aber: er kann besser kurz. Viel besser, finde ich. Bei "lang" verliert er sich teilweise in Längen, quält sich durch Episoden, die die Welt nicht braucht. Ich bilde mir ein, zu merken, welche Passsagen für den Autor Pflicht und welche Kür waren.

Dennoch ein wunderbarer, unbedingt empfehlenswerter Roman, Aber: Eine Geschichte, mir der man Geduld haben muss, eine, die sich langsam entwickelt - dann jedoch bereichert sie mit vielen kleinen, dabei klugen und oft auch witzigen Episoden und Essenzen. Wenn man dann irgendwann den Überblick über die gesamte Handlung hat, quasi ihren Sinn begreift und damit versteht, worauf genau der Autor eigentlich hinauswill, dann, ja, dann ist es eine sehr wichtige und grundlegende Botschaft, die man erhält.

Ich jedenfalls freue mich schon sehr auf den nächsten - hoffentlich kurzen - Roman von Ernest van der Kwast und wage es, ihm, der originell wie selten ein anderer ist, eine international glorreiche Zukunft zu prophezeien!