mit Charlotte in den 1920ern den Traum einer Botanikerin leben

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elke seifried Avatar

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„Sie wollte raus in die Welt: zu den chinesischen Teeplantagen, nach Jamaika und Singapur, nach Brasilien, Indien, Sri Lanka, Japan, um die Heimat der Gewürze, des Hanfs der Gummibäume kennenzulernen und Feldforschung zu betreiben. Was für eine himmlische Vorstellung, durch tropische Wälder, Täler und Flusslandschaften zu schreiten , nach neuen, unbekannten Pflanzen zu suchen und sie in ihren natürlichen Umfeld zu erforschen.“

England 1920: Schon als Kind hat Charlotte nichts mehr geliebt, als mit ihrem Großvater, dem Botaniker, auf die Suche nach neuen Pflanzen zu gehen. In einer liberalen Familie großgeworden, mit einer sie unterstützenden Mutter, die selbst für ihren Beruf als Reporterin lebt, hat sie nun ihr Studium der Botanik mit Auszeichnung abgeschlossen. Auch wenn die Aussichten als Frau eine Anstellung als Wissenschaftlerin in Kew Gardens zu bekommen, gegen Null tendieren, lässt Charlotte sich nicht von ihrem Traum abbringen. Denn „Und als Frau soll ich nach den Brosamen greifen und die Klappe halten?“ ist für sie gar keine Option. Sie kämpft hart darum, kann tatsächlich eine Stelle ergattern und nun scheint sogar noch ihr Traum von einer Exkursion in greifbare Nähe zu rücken. Warum es dann aber wenig später heißt, „Tränen brannten in Charlottes Augen. Ja, die Feldforschung der Welt wäre ihre Berufung gewesen, aber das Schicksal hatte andere Pläne mit ihr gehabt, …“ und ob sie sich dem Schicksal beugen wird, wird nicht verraten.

Als Leser lernt man Charlotte und ihre Familie kennen, darf mit ihr um die Anstellung kämpfen, sie dann viel mit nach Kew Gardens begleiten und mit ihr darauf hoffen, dass ihr Studienfreund Dennis endlich ihre Liebe erwidert. Außerdem darf man Viktor kennenlernen, einen wohlhabenden Papierfabrikanten, der den botanischen Garten und die Forschung dort sehr unterstützt, und sich anschließend von diesem umgarnen lassen. Mit diesem darf man auch die traumhafte Umgebung Londons erkunden und sich auch um das verwildert, verträumte Landhaus Summerlight House kümmern. Außerdem gilt es mit einem Schicksalsschlag, den Bruder Robert trifft und der sich auf alle auswirkt, klarzukommen.

Die Rolle der Frau wird hier grandios gezeichnet. Charlotte ist sicher nicht die Durchschnittsfrau der Zeit, denn „In ihrem Inneren war sie davon überzeugt, dass sie ein Recht darauf hatte, über alle gesellschaftlichen Hindernisse hinweg als Frau ein spannendes Leben zu führen. Nie hatte ihre Mutter ihr etwas anderes vermittelt.“, und deshalb hat sie auch mit vielen Vorbehalten zu kämpfen. Frauen als Wissenschaftlerinnen, am Ende sogar noch auf eine gefährliche Exkursion gehen, trotz Heirat weiter arbeiten wollen, oder auch Frauen hinter dem Steuer, sind nur einige Beispiele dafür, worum es kurz nach dem Ersten Weltkrieg noch zu kämpfen galt. Toll als kleinen Kontrast ist hier auch Viktors Cousine, für die gilt „Du pflegst Traditionen, die meine Mutter manchmal für veraltet hält.“, als Mitspielerin gewählt.

Die Autorin beschreibt wunderbar anschaulich, ich hatte den Geruch in der Nase als es heißt, „Charlotte ließ sich auf einer Bank nieder, als sie von einer Duftwolke aus Basilikum, Liebstöckel und Minze eingehüllt wurde.“, oder die Blütenpracht in Kew Gardens deutlich vor Augen. „Kew Gardens war ihre persönliche Insel, der Ort, an dem sie träumen konnte.“, das konnte ich mir mehr als gut vorstellen, konnte ich das doch selbst bei den Erzählungen davon. Martina Sahler hat mich mit ihrer Geschichte auch emotional völlig mitgenommen. Als Kind habe ich auch immer davon geträumt, als Biologin auf Exkursionen zu gehen, ich habe deshalb regelrecht mit Charlotte um das Erreichen ihrer Träume gefiebert. Meine Familie ist mehr ebenfalls sehr wichtig, ich konnte daher ihren inneren Zwiespalt mehr als gut nachvollziehen. Aber ich habe nicht nur mit Charlotte mitgefühlt, -gelitten und -gelebt, sondern auch mit den anderen. Vor allem Bruder Roberts Sarkasmus hat mir oft einen richtigen Stich versetzt. „Nein, sie wollte gleichzeitig elegant und schlagfertig, geistreich und amüsant sein. Es begann jedoch wenig vielversprechend, als sie beim Betreten des Hotels gegen die Glastür lief, die wirklich derart blankgeputzt war, dass man sie wirklich kaum sehen konnte.“ Richtig gut hat mir auch gefallen, dass es immer wieder mal Anlass zu einem Schmunzeln gab. Die Darsteller sind alle sehr individuell, mit eigenen Problemen, Kanten und liebenswürdigen Eigenschaften toll gezeichnet. Eine Besetzung bei der ich mich schon jetzt auf ein Wiedersehen in den weiteren Teilen freue.

Super gut hat mir auch die Umsetzung als Hörbuch gefallen. Grundvoraussetzung dafür war schon einmal die äußerst angenehme Stimme, ich hätte noch stundenlang zuhören können. Elke Appelt gelingt es ganz großartig, einen mit auf eine Traumreise zu nehmen, Blütenpracht, exotische Pflanzen, verwilderte Ecken,… . Sie transportiert stets auch gelungen die passende Atmosphäre und die, der Handlung zugehörigen, Emotionen. Den verschiedenen Mitspielern verleiht sie darüber hinaus durch einen individuellen Tonfall und eine eigene Stimmlage ganz viel Eigenleben.

Alles in allem ein Roman, der auf einen Ausflug in eine schöne Landschaft mit prachtvoller Pflanzenwelt mitnimmt, von einer starken Frau, deren Träumen und einer bewegenden Familiengeschichte erzählt. Schon jetzt bin ich auf die kommenden Teile und eine Antwort auf die Frage „Schade, dass Sie keinen Ehrgeiz für Summerlight House entwickeln. Haben Sie keine Lust hier etwas wirklich Großes zu schaffen?“, gespannt.