Grandios: Was Liebe bewirken kann!

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gaudbretonne Avatar

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Dass Bernhard Schlink schreiben kann, hat er unlängst bewiesen. In seinem neusten Werk „Die Enkelin“ setzt er sich wieder auf großartige Weise mit der jüngeren deutschen Vergangenheit auseinander. Zunächst entführt der Autor den Leser in das Leben eines Buchhändlers, dessen Frau Alkoholikerin ist und die offenbar durch einen bewussten oder zumindest fahrlässig herbeigeführten Suizid stirbt.
Auch in diesem Roman steht also wieder eine starke Protagonistin, die voller Abgründe steckt, im Mittelpunkt. Offensichtlich trinkt sie, um sich zu betäuben, um zu vergessen. Ihr Mann, ein Buchhändler, hat sich damit abgefunden und flüchtet in literarische Welten, obwohl oder weil er sie abgöttisch liebt. Trotz ihres manifesten Verfalls gelingt es ihm immer noch, die Frau, die er einst kennen und lieben gelernt hat, in der Alkoholikerin zu sehen. Dies ist gleichermaßen rührend und faszinierend.
Dem entsprechend wirft ihr plötzlicher Tod den sensiblen Mann aus der Bahn und er begibt sich auf Spurensuche, um zu verstehen, was Birgt gedacht und gefühlt hat, denn „Auf einmal hatte er Angst, Birgit könnte ihm bei aller Sehnsucht nach ihr, aller Trauer um sie entgleiten, wie Eu­rydike Orpheus auf dem Weg zurück ins Leben entglitten war. Obwohl Birgit tot war, war sie noch da, aber wenn er an sie zu glauben aufhörte und ihr zu grollen begann, würde sie noch mal sterben und tot bleiben.“
Er erfährt, dass sie u.a. Gedichte geschrieben hat und stößt auf bedrückende Notizen, die sich mit Birgits Heimat, der DDR, befassen. Dies lässt Kasper (und den Leser ) in die Zeit abtauchen, als er Birgit kennen lernte und als er ihr zur Flucht aus der DDR verhalf. Bereits im Klappentext deutet sich an, dass Birgit ihrem Mann nicht alles aus ihrem DDR-Leben berichtet hat. Auch das folgende Zitat, das der Leseprobe entstammt, verdeutlicht diese „Ahnung“ bereits zu Beginn des Werkes: „Ja, er liebte Birgit, und sie liebte ihn, sie wollte nicht, dass er zu ihr in den Osten kam, sondern wollte zu ihm in den Westen. Aber sie hatte ihr Leben, auch es war auf seine Weise vollständig und vollkommen, nur kannte er es nicht und wusste nicht, was an ihm gut und was an ihm schlecht war. Sie hatte ihn in ihr Leben geholt. Und doch fühlte er sich auf einmal als Eindringling und erschrak.“
Mit dieser Leseprobe beweist Schlink erneut, dass er zu den ganz großen Autoren unserer Zeit gehört, denn die detaillierte Beschreibung Kaspars täglicher Gewohnheiten und seiner Gefühle, hat mich von Beginn an in den Bann gezogen. Glänzende Formulierungen lassen kaum Zeit zum Atmen. Das plötzliche Auftauchen des Briefs, das über Birgits Manuskript und den Austausch mit dem Verleger berichtet, baut enorme Spannung auf. Der Leser beginnt sich zu fragen, was der Protagonist noch alles über die Vergangenheit seiner Frau herausfinden wird. Und trotzdem wiegt man sich in Sicherheit, dass diese Liebe zwischen den beiden Figuren etwas ganz Besonderes ist. Somit ist es mit Abstand die beste Leseprobe, die ich in den letzten Monaten gelesen habe!