Björns Welt

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owenmeany Avatar

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Als Autor engagierter und immer lesbarer Thesenromane kenne ich Bernhard Schlink seit vielen Jahren. Dabei handelt "Die Enkelin" von einem, der sich eigentlich grundsätzlich heraushalten möchte. Bezeichnend ist Kaspars Beruf als Buchhändler: einen problematischen Sachverhalt geht man am geschicktesten an, indem man etwas darüber liest. Dabei bleibt er aber von Anfang an aufgeschlossen und neugierig, zur Zeit des Eisernen Vorhangs von Westberlin aus erst einmal auf die andere Seite der Stadt, wo er bald seine große Liebe findet, für die er aktiv Risiken in Kauf nimmt.

Mit deren tragischem Ende beginnt der Roman. Eine unglückliche Ehe rollt sich vor unserem Auge ab und wie Kaspar im dumpfen Morast der Trauer versinkt, bis er Birgits Aufzeichnungen entdeckt, die ihm deren schicksalhafte, unheilbare Verstrickung in die politischen Verhältnisse zur Zeit der deutschen Teilung offenlegen. Über dieses Thema kann man Bibliotheken füllen, angefangen beim "Geteilten Himmel" von Christa Wolf, wie sich diese gerade auf die persönlichen Beziehungen auswirkten und massenhaftes individuelles Unglück produzierten.

Nun drängt es Kaspar nach weiterer Aufklärung, denn erst jetzt erfährt er von einer Tochter, auf deren Suche er sich begibt.

Von den damit verbundenen Erkenntnissen handelt der 2. Teil, der ihn Jahre nach der Wende in ein rechtsextremes Milieu führt, mir mindestens so fremd wie dem Protagonisten. Leider hatte ich noch keine Gelegenheit zur Lektüre von Juli Zehs neuestem Werk, denn hier wäre ein Vergleich sicherlich interessant.

Eine Annäherung gelingt ihm schließlich an Birgits Enkeltochter, mit ihm gar nicht leiblich verwandt. Welten liegen zwischen dem etwas weltfremden, kunstsinnigen Intellektuellen und der völkischen Siedlung mit Landwirtschaft und Sonnenwendfeier, die die jugendliche, erstaunlich begabte Sigrun von klein auf geprägt hat.

Großartig finde ich es, wie Schlink die Entwicklung aufzeigt, wie der verschlossene Kaspar ganz behutsam und rein intuitiv das Richtige macht und über die Musik einen Draht findet zu dem in den Vorurteilen seiner Herkunft befangenen Mädchen. Die Gespräche zwischen den beiden sollte man sich als Vorlage bereitlegen, denn so selten ist dieses Gedankengut heutzutage ja nicht, und es ist gar nicht so einfach, richtig darauf zu reagieren.

Wenn das Heranreifen Sigruns keineswegs geradlinig verläuft, hat mich der Abschluss überzeugt in seiner inneren Logik.

In erster Linie dreht sich dieser Entwicklungsroman meiner Ansicht nach um den persönlichen Reifeprozess Kaspars, dem es in seinem fortgeschrittenen Alter von um die Siebzig gelingt, sich auf extrem Kontroverses einzulassen und Lösungen zu finden für die daraus entstehenden Konflikte. Im Verlauf dessen sind mir die handelnden Figuren ans Herz gewachsen, und ich kann dieses Buch voller Überzeugung weiterempfehlen.