Das war nicht mein Buch

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fraedherike Avatar

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"Wenn man in einem Land unter einem schlechten Regime lebt, hofft man auf einen Wechsel, und eines Tages ist es so weit. Die DDR wird nie das Land werden, von dem geträumt wurde. Es gibt sie nicht mehr. Das Land und der Traum sind unwiederbringlich abhandengekommen." (S. 60)

Im Sommer 1964 lernten sich Kaspar, ein Student aus dem Westen, und Birgit, eine junge Frau aus Ostdeutschland, kennen und lieben. Um zusammenbleiben zu können, vielleicht einmal eine Familie zu gründen, verhilft er ihr zur Flucht in den Westen - und soll erst nach ihrem Tod, Jahrzehnte später erfahren, was Birgit dafür alles auf sich genommen hat. Er findet Aufzeichnungen zu einem Buch, das sie schreiben wollte, einem Buch über ihre Geschichte, ihr Leben im Osten, ihre Ängste und ihren Ärger. Doch - was noch viel schwerer wiegt - sie hatte Geheimnisse, über die sie ihn nie in Kenntnis setzte: Sie hatte eine Tochter, die sie in der DDR zurückließ. Kaspar macht sich auf die Suche, und findet sie schließlich inmitten einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land; verheiratet, Mutter einer vierzehnjährigen Tochter. Ihr Leben, vor allem ihre gesellschaftspolitischen Ansichten, bestürzen ihn, ihre Welten könnten nicht fremder sein, aber Kaspar setzt alles daran, um seine Enkelin zu ringen.

"Dass man selbst nicht entkommt, dass man sich immer und überall mitnimmt, wusste ich. Aber ich wusste nicht, dass man auch die anderen immer und überall mitnimmt. Großmutter, Mutter, Gisela. Sie sind mitgekommen und drangsalieren mich, Großmutters böse Worte, Mutters Rügen, Giselas Bitterkeit." (S. 63)

In seinem neuen Roman "Die Enkelin" begibt sich Bernhard Schlink auf eine Reise, die die Vergangenheit, alte Konflikte und Narben gegenwärtig werden lässt, und zugleich einen Blick auf die rechtsradikale Community wirft. Er entwirft anhand Birgits Aufzeichnungen zu ihrer Flucht nach Westdeutschland das zermürbende Bild eines geteilten Deutschlands, der radikalen Politik und den unterschiedlichen, vorherrschenden Gesinnungen. Dieser erste Teil hat mir gut gefallen, transportierten sie nachvollziehbar und lebendig die Birgit umwabernden Sorgen, ihre Demut und ihre Schuld. Für die Liebe ließ sie ihre Tochter zurück, und fragt sich bis zu ihrem Tod Jahrzehnte später, was mit ihr geschehen ist, möchte sie suchen. Dieser Aufgabe nahm sich schließlich Kaspar an, ihr Ehemann; er imponierte zunächst durch seinen Biss, seinen Enthusiasmus, besagte Tochter zu finden, und darüber hinaus seine Stiefenkelin ihm gegenüber zu erwärmen, nun ihr "zur Flucht" zu verhelfen aus den Fängen ihres rechtsradikalen Vaters. Doch so ganz konnte er die anfänglichen Sympathien nicht aufrechthalten: Ich wurde einfach nicht warm mit Kaspar und seiner Enkelin, mit dem rechten Milieu, in dem sie lebt -was zwar sehr spannend zu erlesen war, aber es war einerseits zu viel und zu wenig, ich kann es nicht beschreiben. Was ich jedoch leider sehr klar sagen kann, ist, dass mich das Buch stellenweise sehr anstrengte, wenn sich die Handlung zog, wiederholte, kurzzeitig unterbrochen von einigen wenigen sehr schönen Szenen. Und auch wenn mich all dies irgendwo störte, wollte ich trotzdem wissen, wie Kaspar und seine Enkelin verbleiben würden, welchem Schicksal sie entgegen streben; es war wie ein Sog, vor und zurück. Die Sprache allerdings hat mich letztlich versöhnt: Schlink schreibt sehr poetisch, mit einem ganz eigenen, melodischen Ausdruck und bedient sich vieler stilistischer Mittel, die den Inhalt tragen und hervorheben. So lässt mich "Die Enkelin" mit zwiegespaltenen Gefühlen zurück, vor allem aber Enttäuschung nach den sehr vielversprechenden ersten Seiten.

Herzlichen Dank an den @diogenesverlag und @vorablesen für das Rezensionsexemplar.