Der Großvater

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annabelle Avatar

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Kann man sein Leben mit einem Menschen verbringen, den man liebt und von dem man glaubt ihn zu kennen und dann am Ende feststellt, dass dem nicht so war?
Ja, das geht anscheinend. Jedenfalls ist es Kaspar passiert.
Kaspar, der aus einem protestantischen Elternhaus stammt, der Vater ist Pfarrer, und zum Geschichtsstudium nach Berlin geht, möchte das ganze Deutschland kennenlernen.
Und so führen ihn seine Streifzüge auch in den Osten der Stadt. Zu genau der Zeit Anfang der 60-er Jahre, als im Osten auch Westdeutsche Studenten willkommen sind und so etwa wie ein Austausch möglich scheint. Hier lernt er Birgit kennen und lieben. Er verhilft ihr zur Flucht, möchte mit ihr gemeinsam ein neues Leben beginnen. Er bricht sein Studium zugunsten einer Ausbildung als Buchhändler ab, schließlich müssen die Schulden für Birgits Flucht bezahlt werden. Birgit indes kommt mit dem Leben im Westen nicht zurecht.
Auch sie absolviert zunächst nach Abbruch ihres Studiums eine Buchhändlerausbildung. Gemeinsam eröffnen sie eine Buchhandlung, die gut läuft und ihnen ein angenehmes Leben ermöglicht. Doch bald bricht Birgit aus aus dem geregelten Ablauf, sucht neue Herausforderungen und Aufgaben. Greift immer öfter zum Alkohol. Versucht sich als Goldschmiedin, Köchin und begibt sich auf eine längere Indienreise. Möchte dann Schriftstellerin werden und beginnt zu schreiben. Kaspar lässt sie gewähren und merkt nichts von der Zerrissenheit seiner Frau. Er hat es sich in seiner Buchhandlung gemütlich gemacht. Bis zu dem Abend, an dem er seine Frau tot in der schönen und für viel Geld sanierten Jugendstilbadewanne findet.
Ob Unfall oder Selbstmord ist nicht klar.

In ihrem Nachlass entdeckt er persönliche Notizen und Aufzeichnungen. Und erst jetzt erschließt sich ihm das Leben seiner Frau, von dem er bis dahin nichts geahnt hat.
In Rückblenden erfährt auch der Leser Birgits Geheimnisse.
Zum Zeitpunkt des Kennenlernens in Ostberlin war sie schwanger von einem Parteifunktionär, während eines Aufenthalts an der Ostsee bei ihrer Freundin Paula, brachte sie eine Tochter zur Welt, die sie nicht behalten wollte.
Kurz nach der Entbindung dann die Flucht nach West-Berlin.
Dann Birgits Recherchen und die halbherzige Suche nach der Tochter. Ihr Zögern und die Angst davor, sie eventuell zu finden. Der Plan, das alles in einem Roman zu verarbeiten.

Nach anfänglichem Zögern beschließt Kaspar, die Suche nach der Tochter fortzusetzen.
Tatsächlich findet er Paula, die das Baby damals – entgegen dem Wunsch von Birgit – zum leiblichen Vater gebracht hat. Dort sei das Mädchen gut versorgt worden.
Auf Umwegen findet Kaspar die heute erwachsene Frau. Svenja lebt mit Mann und Tochter in einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land. Nur die Aussicht auf ein Erbe ermöglicht Kaspar den Kontakt. Vor allem zur 14 -jährigen Tochter Sigrun, die in ihm einen Großvater sieht. Doch auch ihr kann er nicht helfen auf ihrem Lebensweg, ihr nicht zur Seite stehen gegen die rechte Gesinnung der Eltern. Mut war nie Kaspars Stärke.

Bernhard Schlink ist wieder einmal ein großartiger Roman gelungen, wieder mit historischen Hintergrund. Mit vielen Charakteren, Schauplätzen und Handlung.
Gut recherchiert, mit viel Hintergrundwissen und sehr gut geschrieben.
Ein bewegender Roman, der einen beschäftigt. Auf jeden Fall lesenswert!!!