Deutsch-deutsche Liebesgeschichte

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longstocking Avatar

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Ein grandioser Romaneinstieg: Kaspar kommt nach Hause; die Arbeit, der Nachhauseweg, die Wohnung – auf nur einer Seite scheint der Rahmen elegant gesteckt und wir lesen „er mochte es, ins Haus zu treten“. Wir blättern um und es folgt: „Auch wenn er wusste, was ihn erwarten würde.“

Schnell erfahren wir nun von der Alkoholsucht seiner Frau, dass Kaspar es längst gewohnt ist, Birgits Erbrochenes und andere Spuren ihrer Sucht zu entfernen. Trotzdem liebt er sie immer noch, genießt es, sie im Schlaf zu betrachten, im „verwüsteten Gesicht das unversehrte“ zu sehen.

An diesem Abend aber schläft sie nicht, sie ist tot.

Ab hier lernen wir rückblickend die deutsch-deutsche Geschichte der beiden kennen, sowohl aus Kaspars, als auch aus Birgits Perspektive, denn Kaspar findet nach ihrem Tod ihre Aufzeichnungen und kann so erstmals vieles verstehen, was ihm bisher ein Rätsel war:

1965 flieht Birgit zu Kaspar von Ost- nach Westberlin. Kennengelernt hatten die beiden sich im Vorjahr beim Pfingsttreffen der deutschen Jugend in der Hauptstadt der DDR. Rosarot blickt Kaspar auf diese erste Begegnung zurück und beschreibt sie als „Liebe auf den ersten Blick“, er sei „überwältigt“ gewesen, als er sie auf dem Bebelplatz das erste Mal sah. Was Kaspar damals nicht wusste, ja, was er erst gemeinsam mit uns, den Lesern, erfährt, ist, dass Birgit damals schwanger von einem Anderen war. Dass sie das Kind heimlich bekam, bevor sie in den Westen floh, und es zurückließ.

Kaspar begibt sich auf die Suche nach dem Kind, auf die Suche nach Birgits Vergangenheit. Diese Suche wird zu einer Reise in die jüngere deutsch-deutsche Geschichte, in Kreise der Neonazis und der Völkischen Bewegung. Und nun beginnt die Geschichte leider, ein wenig zu sehr in Ost-West- und andere Klischees zu verfallen. Wenn man aber über diese hinwegsehen kann, lohnt sich „Die Enkelin“ meiner Meinung nach bis zur letzten Seite; das Buch ist wunderschön geschrieben, die Geschichte meist überzeugend erzählt, dabei oft leise und zurückhaltend gestaltet – trotz allem ein Lesegenuss!