Ein herausragendes Leseerlebnis

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Das Cover schmückt das Gemälde einer jungen Frau von George Clausen. Es paßt ganz hervorragend zum Buch. Bernhard Schlink spannt einen weiten Bogen um eine Familiengeschichte, die in der DDR beginnt und nach gut 50 Jahren mit dem Tod von Kaspars Frau Birgit endet. Für Kaspar begint nun eine Zeit der Suche. Er begreift, daß er all die Jahre neben seiner Frau gelebt hatte, aber eigentlich nichts von ihr wußte. Erst als er ihre Unterlagen und ihren Computer sichtet, kommt er ihren Geheimnissen auf die Spur, die sie in all den Jahren vor ihm geheimgehalten hat. Er erkennt, daß sie sich ihm nie geöffnet und anvertraut hat. Stattdessen war sie schwer depressiv und hat ihre Verzweiflung im Alkohol ertränkt.

Birgit hat ihren Lebensweg in einem Roman beschrieben, aus dem hervorgeht, daß sie eine Tochter in der DDR zurückgelassen hat und die sie jetzt finden möchte. Dies ist ihr nicht mehr gelungen. Nun übernimmt Kaspar diese Aufgabe, und findet die Tochter mit ihrem Mann und deren Tochter. Es ist ein schwieriges Kennenlernen. Die Familie lebt in einer völkischen Gemeinschaft, die den Nationalsozialismus verherrlicht. In diesem Sinne wird Sigrun, die Kaspar Großvater nennt, erzogen.

Die Auseinandersetzung zwischen Kaspar und Sigrun, die den Großvater in Abständen besuchen darf, hat mich bewegt und berührt. Wie sehr die junge Sigrun in ihrer Weltanschauung verhaftet war und mit welcher Hingabe Kaspar ihr zuhörte und versucht hat, sie davon abzubringen, gehört für mich zu den stärksten Eindrücken im Buch.

Der Autor hat seinen Protagonisten mit einem starken Charakter ausgestattet. Kaspar ist den Menschen zugewandt, er will nicht werten und richten, sondern zuhören und versuchen, fehlgeleitete Ansichten zu korrigieren und hofft, daß ihm dies mit seiner Lebenserfahrung und Weltanschauung gelingt.

"Die Enkelin" reiht sich ein in eine lange Reihe von Büchern, die der Autor geschrieben hat, und von denen ich die meisten gelesen habe. Es ist jedes Mal ein herausragendes Leseerlebnis. Und so möchte ich auch dieses neue Buch ganz herzlich empfehlen.