Holprige Wege

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constanze_pachner Avatar

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Da ist er, der Roman, der sich auf meinen Jahreshighlightsthron stellt. Bernhard Schlink ist ein Meister der Perspektivwechsel, dem es nach 'Der Vorleser' wieder einmal gelingt, generationsübergreifend aktuell brennende Fragen literarisch einzufangen.

Ich erinnere mich noch gut daran, als vor ca. 20 Jahren meine Deutsch-LK-Lehrerin, die ich für recht verhalten hielt, uns den Vorleser zu lesen gab. Endlich lasen wir einen Roman über den zweiten Weltkrieg, der uns in die Täterperspektive einführte, der uns aufwühlend nachempfinden ließ, warum eine junge deutsche Frau zur SS ging. Eine Autorenliebe war geboren und ich hielt Frau Nolte nicht mehr für altbacken, sondern für mutig, da sie uns etwas zutraute, vor dem sich viele Erwachsene scheuten.

Und nun dieser Wurf, Herr Meister Schlink. Welche Kunst Sie besitzen, etwas zu Papier zu bringen, das den Leser auf einen holprigen Weg mitnimmt, gegen den er sich im Grunde genommen innbrünstig wehrt. Durch ihre sprachlich klare Eleganz sowie ihr ehrlich einfühlsames Gespür für Ihre Figuren folgen wir Ihnen geleitvoll. Holter die Polter durchgeschüttelt halten wir am Wegesende inne: bereichert daran, zu wissen, dass jeder im Grunde, egal welcher haaressträubenden Gesinnung er nachrennt, nach Geborgenheit und Liebe trachtet.
Es ist nicht leicht sich den Gedanken des sekundären Antisemitismus zu stellen, aber nur mit Aufklärung lässt sich etwas ändern, das Nicht-Hinhören ist keine Lösung.

"Ich weiß nicht. Ich finde, man kann stolz nur auf etwas sein, das man geleistet hat. Aber vielleicht kann man das auch anders sehen." 299

Der Roman bereichert mich wie ein Goldschatz: ich schreibe meine Bachelorarbeit über 'Antisemitismuskritische Bildungsarbeit mit Literatur des 21. Jahrhunderts' - 'Die Enkelin' schubbst hierfür etwas anderes vom Schreibtisch und wird ein Analyseinstrument.

Absolute Leseempfehlung und ganz bald bitte Schullektüre!