Mir leider zu dünne

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phoebe caulfield Avatar

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Kaspar und Birgit sind seit mehr als 20-25 Jahren verheiratet. Sie ist damals aus dem Osten zu ihm in den Westen geflohen. Rückblickend ist fraglich wie nah und vertraut ihr Ehe wirklich war. Nach dem Tod Birgits findet Kaspar umfangreiche Aufzeichnungen, Tagebuch- und Romanfragmente aus denen er erfährt, dass Birgit im Osten ein Kind zurück gelassen hat. Er begibt sich auf die Suche – nach der ihm unbekannten Birgit, ihrer Tochter Svenja und findet dabei seine Enkelin Sigrun.

Das erste Drittel des Romans, in welchem Birgit in Romanfragmenten ihr Leben in der DDR, das Kennenlernen von Kaspar sowie Weg und Ankunft im Westen beschreibt, bildet den starken Teil dieses Buches. Die Innenansicht einer zutiefst zerrissenen und von Zweifeln getriebenen Frau wird beeindruckend empathisch beschrieben. Hier hat mich die Geschichte mitgerissen.

Dann allerdings verfällt der Autor in ein schablonenhaftes Geschreibe: Die Figur von Kaspar bleibt unglaublich eindimensional. Kein Wort verliert er rückblickend über seine Ehe zu Birgit, ihre doch augenscheinliche Unstetigkeit und Getriebenheit. An keiner Stelle bringt er ihr Leben in der DDR in Verbindung mit ihrem offensichtlich unerfüllten Leben im Westen. Als Leserin habe ich mich mehrmals gefragt, was für ein Mann das denn ist, der über Jahrzehnte nicht merkt oder wahrhaben will, wie unglücklich seine Frau ist. Er scheint sich einfach damit arrangiert zu haben.

Zudem findet sich in meinen Augen kein überzeugendes Motiv, warum Kaspar sich nach Birgits Tod so stark in die Familie von Svenja und Sigrun involvieren möchte. Wirklich krass und absolut unglaubwürdig fand ich, wie schnell die Eltern Sigruns sie allein und gleich für mehrere Tage haben zu Kaspar reisen lassen.
Und Kaspars unsägliche Versuche allein durch Kunst, Musik und Kultur Sigrun politisch zu bekehren – oh come on, wie realistisch ist das denn? Zumal die Figur der 14(?)jährige Sigrun hier unterschiedlich glaubwürdig agiert bzw. reagiert. Habe mich gefragt, ob und wann der Autor sich das letzte Mal mit jungen Menschen in diesem Alter unterhalten hat, Sigruns Sprache wirkt jedenfalls nicht authentisch (und damit meine ich noch nicht einmal ihren völkischen Spracheinschlag). Jedenfalls ist mir dieser Ansatz einfach zu simpel gestrickt, eine verquere Lösungsstrategie eines bildungsbürgerlichen Altherren.

Nach dem ersten starken Drittel, der Perspektive von Birgits, wäre es eine so viel spannendere Geschichte gewesen, anschließend aus der Sichtweise von jeweils Svenja und Sigrun über deren Lebenswege zu lesen.

Mein Fazit: Nach einem starken und beeindruckenden Start kann der Rest des Buches nicht überzeugen. Zu viele (schlechte) Klischees, eine wiederholt nicht plausible Dramaturgie und unsympathische unterkomplexe Figuren haben mich extrem genervt.