Unerwartet schwungvoller Roman mit historischem Hintergrund

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gaia Avatar

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Dieser Roman war für mich ganz anders (im positiven Sinne) als erwartet. Über einen recht langen Zeitraum von über 30 Jahren hinweg begleitet Sue Monk Kidd ihre beiden Protagonistinnen Sarah und Handful auf ihrem Weg hin zu einer inneren und vielleicht auch äußeren Befreiung. Sarah ist die Tochter einer Plantagenbesitzerdynastie, der im Alter von 11 Jahren die fast gleichaltrige Sklavin Handful als Kammerzofe übereignet wird. Doch Sarah stehts anders als ihre Familie zum Thema Sklaverei und so entwickelt sich eine interessante Geschichte um die Lebenswege der beiden Mädchen.

Auf den ersten Blick könnte man befürchten, dass der Roman zu einem schwülstigen "Weißes-Mädchen-freundet-sich-mit-Sklavenmädchen-an"-Geschichte wird. Best buddies forever sozusagen. Dem ist nicht so. Oft wird die Beziehung zwischen diesen beiden Menschen, die unterschiedlicher zum Zeitpunkt des Romanbeginns in den Südstaaten der USA in 1803 kaum angesehen werden konnten, gar nicht harmonisch oder gar gleichgestellt dargestellt. Meist gibt es Zeiten der Bewegung voneinander weg und wieder zueinander hin. Sehr wichtig ist die Entscheidung der Autorin hier stetig wechselnd die Kapitel sowohl aus Sicht der weißen Sarah als auch aus Sicht der schwarzen Handful zu erzählen. So kommt es nicht zu einem kritischen Ungleichgewicht zwischen einer "weißen Heldin" (erzählt von einer weißen Autorin) und einer (behüte) "schwarzen Geretteten". Nein, beide Mädchen- bzw. später Frauenrollen sind auf ihre Weise stark und ermächtigen sich gegen ihre eigenen Lebensumstände. Der Roman ist mitreißend geschrieben und entwickelt sich zu einem Pageturner. Ein kleines bisschen zu oft holt dabei die Autorin immer wieder dieselben Bilder hervor, um die Aspekte der Verbundenheit und Freiheit den Leser*innen aufs Brot zu schmieren. Ein wenig mehr Raum für eigene Gedankengänge hätte dem Roman noch besser zu Gesicht gestanden.

Nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesem Buch um eine durchaus lohnenswerte Lektüre, umso mehr als die Figur Sarah und weitere Protagonisten historisch existiert haben und man dadurch noch mehr über die amerikanische Anti-Sklaverei- und Frauenbewegung erfährt. Dies erläutert die Autorin übrigens im sehr ausführlichen und unglaublich interessanten Nachwort der mir vorliegenden Hardcover-Ausgabe des Buches. So etwas wünsche ich mir häufiger bei historisch angelehnten Texten, damit eine Einordnung nicht nur über "Wikipedia" geschehen muss.