Wenn du irren musst, dann irre aus Kühnheit

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fiammetta Avatar

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Doppelbiographien sind schwer zu schreiben. Sie müssen zwei unterschiedliche Lebenswege so miteinander verbinden, dass keiner zu kurz kommt, keine Person darf der anderen den Atem nehmen. Sue Monk Kidd ist die Darstellung der Sarah Grimké, der eine historische Figur des frühen 19. Jahrhunderts zugrunde liegt, und der Hetty Handful, einem frei erfundenen Charakter, wunderbar gelungen. Erzählt wird ab dem Moment, in dem sich ihre beiden Wege auf das Engste miteinander verzahnen: das zehnjährige Sklavenmädchen Hetty, genannt Handful, wird Sarah, deren Vater ein angesehener Friedensrichter ist und der auf seiner Farm Sklaven arbeiten lässt, zu ihrem elften Geburtstag geschenkt. Sarah ist dies unangenehm, und da sie bisher von ihrem Vater relativ viel Freiraum zur Entfaltung, auch ihres eigenen Willens, zugesprochen bekommen hat, glaubt sie, es würde geduldet werden, dass sie Handful ihre Freiheit gibt. Sie verfasst einen Freibrief und erkennt dabei, dass sie sich gerne auch in Zukunft für die Rechte der Unterdrückten einsetzen möchte. Doch der Freibrief wird zerrissen und ihre eigene Freiheit beschnitten. Sie hat sich unterzuordnen – unter die Regeln der weißen Gesellschaft, vor allem unter die Vorschriften, die das Leben von Frauen reglementieren. Insofern wird hier Unterdrückung und Ungerechtigkeit im doppelten Sinne gezeigt: die selbstverständlich weitaus grausamere Knechtung der Sklaven und diejenigen der Frauen, gerade nicht nur durch Männer, sondern auch durch die angepassten Frauen selbst. So ist das größte Problem Sarahs ihre strenge und unerbittliche Mutter, während Handfuls Mutter ihr größter Halt ist und ihr die beste Orientierung bietet.
Die Erzählweise des Romans ermöglicht es Handful und Sarah wenigstens hier, selbst zu Wort zu kommen, da die Kapitel in der Ich-Perspektive sich stets abwechseln. Was sie erzählen, was sie erleben und fühlen, ist atemberaubend. Vermutlich liegt es an der Tatsache, dass die historische Figur Sarah die größere Entwicklung durchmachen kann, dass dem Leser am Ende des Romans sie in besonderem Maß in Erinnerung bleibt. Gleichwohl gehen gerade die Erlebnisse von Handful als junger Erwachsener einem besonders nah.
Erzählungen in Film und Buch über Sklaverei haben wieder Konjunktur. Dieses Buch entspricht jedoch nicht dem Mainstream und hat so viel mehr zu bieten. Hier werden mehrere Themen auf interessante Weise miteinander verknüpft: Sklaverei, die amerikanische Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts, Geschlechterverhältnisse und die Möglichkeiten von Frauen in einer restriktiven Gesellschaft nicht nur zu überleben, sondern sich auch zu entwickeln. Man lernt Vieles über die amerikanische Geschichte und wird zugleich hineingezogen in die Gedankenwelt zweier mutiger Frauen. „Wenn du irren musst, dann irre aus Kühnheit“ lautet das Motto der Sarah Grimké. Wie der Roman zeigt, hat sie es stets befolgt.