Zwei starke Frauen

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adelheid von buch Avatar

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Sue Monk Kidd, geboren 1948 in Sylvester, einem Ort im US-Bundesstaat Georgia ist eine erfolgreiche amerikanische Romanautorin. Sie studierte zunächst Gesundheits- und Krankenpflege und arbeitete viele Jahre in diesem Bereich. Ihr erstes Buch „God’s Joyful Surprise“ erschien 1988 und erzählt von ihren spirituellen Erfahrungen als Christin. Bekannt wurde sie jedoch erst 2002 durch ihr Buch „The secret Life of Bees“ (Die Bienenhüterin), das ein Bestseller ist, der auch verfilmt wurde.

Ihr neuer Roman "Die Erfindung der Flügel" sorgte in den USA gleich nach Erscheinen für großes Aufsehen und stieg auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste ein. Der Roman beruht auf Tatsachen. Im Nachwort beschreibt Sue Monk Kidd, welche Details der Geschichte tatsächlich passiert sind und welche sie hinzugedacht hat. Das Geschehen trägt sich in den Jahren 1803 bis 1838 zu.

Die beiden Hauptfiguren sind die Frauen. Sarah ist weiß, eine behütete Tochter eines angesehenen Richters und reichen Gutsbesitzers mit vielen Geschwistern.
Hetty (von ihrer Mutter Handful genannt, da sie ein Frühchen war) ist die einzige Tochter einer der schwarzen Sklavinnen von Sarahs Vater. Handfuls Mauma ist die Schneiderin und für das Einkleiden aller auf dem Gut lebenden Leute zuständig.

Sarah ist ein besonderes Mädchen. Sie hat eine rote Wuschelmähne und Sommersprossen. Sie entspricht dem damaligen Schönheitsideal überhaupt nicht. Außerdem ist sie sehr sensibel und sehr klug. Ihr Vater sagt, sie könnte der erfolgreichste Anwalt aller Zeiten werden, wenn sie ein Junge wäre. Ihr starker Charakter wird eingezwängt in die gesellschaftlichen Konventionen dieser Zeit in dieser Gegend. Das ist sehr schmerzhaft für sie. Sarahs Mutter ist die harte Regentin des Hauses. Sie führt die Wirtschaft mit eiserner Hand. Sie hart zu ihren Kindern und brutal zu den Sklaven. Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass auch sie eine sehr starke und kluge Person ist, die ihre Talente nicht entwickeln durfte und keine andere Wahl hatte, als sich in die ihr zugedachte Rolle als Hausfrau und Mutter zu fügen. Das ist wohl das kleinere Übel gegenüber der Alternative, eine alte Jungfer zu werden.

Auch Handful ist ein besonderes Mädchen. Als Sklavenkind hat sie keine besonders guten Karten, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber sie findet stets Möglichkeiten, sich kleine Freiräume zu erobern. Auch sie hat eine starke Mutter. Ihre Mauma, wie sie sie liebevoll nennt, hat vieles schlimme Dinge erlebt. Da sie sehr kreativ ist, verarbeitet sie die wichtigen Stationen ihres Lebens in Bildern aus Stoff auf einem Quilt. Die Freiheiten, die sich die Sklaven nehmen, werden stets hart bestraft, wenn sie entdeckt werden. Auch Verfehlungen, die nur in den Augen der „Missus“ welche sind, werden mit Stockschlägen und ähnlichen entwürdigenden Demütigungen geahndet.

Die Geschichte beginnt damit, dass Sarah anlässlich ihres 11. Geburtstages die Sklavin Hetty, die zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt ist, jedoch wie sechs aussieht, geschenkt bekommt. Beide Mädchen sind darauf völlig unvorbereitet und geschockt. Ab da sind die Schicksale der beiden untrennbar miteinander verbunden.

Sarah will das "Geschenk" nicht annehmen, da sie es unwürdig findet. Die Verhältnisse lassen dies jedoch nicht zu. Im Grunde ist Sarah auch Sklavin des Systems, in dem sie lebt. Sie kann nicht frei bestimmen, wie sie leben möchte. Andere herrschen über sie. Es scheint hoffnungslos. Sie muss den Eltern gehorchen. Wenn sie erwachsen ist, wird sie an einen Mann, den die Eltern aussuchen verheiratet werden, dem sie dann auch nur gehorchen muss. Falls sich kein Bräutigam findet, wird sie bis an ihr Lebensende im Haushalt ihrer Eltern bzw. bei einem ihrer verheirateten Brüder bleiben müssen.

Es bleibt den Mädchen nichts weiter übrig, als sich in die Situation zu fügen und das Beste daraus zu machen. Im Verlaufe der wechselvollen Geschichte bringt Sarah Handful heimlich das Lesen und Schreiben bei, was bösen Ärger gibt, da es sich nicht dauerhaft verbergen lässt. Jede von ihnen nutzt stets die Möglichkeiten, sich zu entwickeln und Freiheiten, so winzig sie auch sein mögen, zu nutzen. Sie lassen sich von möglichen Strafen immer weniger davon abhalten. Der Drang, frei zu leben, ist ihnen beiden im Blut und bestimmt ihr Leben. Zeitweise sind die beiden räumlich sehr weit voneinander entfernt. Sarah bringt einige Jahre im Norden bei den Quäkern zu. Seelisch sind sie jedoch eng verbunden. Am Ende bröckelt das gesamte System. In der Schlussszene fliehen die Frauen gemeinsam auf einem Schiff aus der Stadt.

Dieses Buch ist ein erschütterndes und zugleich wunderschön gezeichnetes Bild der Verhältnisse in den Südstaaten des 19. Jahrhunderts.

Die Story wird abwechselnd aus der Sicht von Hetty oder Sarah erzählt. Auf wunderbare Weise wird deutlich, wie die beiden Hauptfiguren, die aus sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammen, denken und fühlen.

Auf der Rückseite des Buches steht ein Zitat von Oprah Winfrey über dieses Buch: „... Es ist unmöglich, dieses Buch zu lesen, ohne danach anders über sich selbst und die eigene Rolle in der Welt zu denken.“ Das ist das beste denkbare Schlusswort zu diesem grandiosen Roman.