„Lektürehilfe“ für fortgeschrittene Fans

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Geschlagene 150 Jahre alt wird „Alice hinter den Spiegeln“ dieser Tage. Ein Grund sich deren (Entstehungs-)Geschichte einmal näher anzusehen, und das tut Peter Hunt in „Die Erfindung von Alice im Wunderland“. Man könnte sagen, dass Hunt umgerechnet fast jedem Jahr ihrer Existenz eine großformatige Seite und eine Abbildung widmet.

Das Buch gibt Hintergrundinformationen en masse zu diesem verrückten Kinderbuchklassiker. Manche davon dürften dem einen oder anderen schon bekannt sein, wie etwa, dass Carroll „nur“ ein Pseudonym war und dahinter ein Mathematiker steckte. Dass dieser die Geschichten erfand, um ein Geschwisterpaar zu unterhalten, wissen vielleicht schon weniger Leute – ebenso wie den Umstand, dass Alice somit ein reales Vorbild gehabt haben dürfte und auf welche Personen und mögliche Vorbilder dies ebenfalls zutreffen könnte. Hunt beleuchtet die Biografie und Welt Carrols ebenso wie das Leben im viktorianischen England und das alles auf der Leinwand der originalen Illustrationen bzw. Fotos aus Carrolls Umfeld. Hunt zieht Lesern den Zahn, dass Alice als „Nonsens“ zu lesen sein könnte: Er hat mit fast jedem Satz auf die realen Gegebenheiten angespielt, indem er sie überspitzte und ja, fast schon persiflierte. Somit zielt Hunts Buch im Wesentlichen darauf ab, dem Leser nahezubringen, wie Carrolls Texte zu verstehen sind.

Wesentlich, um Hunts Buch richtig einzuordnen, ist meines Erachtens die Kenntnis, dass er emeritierter Professor für Englische Literatur ist. Denn das verändert die Leseperspektive: Boshaft könnte man sagen, dass sein Buch (nichts weiter als) eine „Lektürehilfe“ für fortgeschrittene Fans darstellt – was an sich ja nichts Schlechtes ist. Aber wer Unterhaltung oder nostalgisches Schwelgen von diesem Buch erwartet, ist auf dem falschen Dampfer … hier geht es um die Rezeption und in weiten Teilen auch Interpretation, das Verständnis und Entstehen von Carrolls Texten sowie die dafür erforderlichen Hintergrundinformationen. Dazu gehören eben aus wissenschaftlicher Sicht auch so „trockene Informationen“, wie die Kinderliteratur vor „Alice“ aussah oder auch, dass Carrol (ganz Mathematiker) „Witze“ oder Anspielungen in seine Texte einbaute, die außer ihm und dem einen oder anderen Mathematiker keiner verstand (dass Alice quasi Douglas Adams beeinflusst haben könnte, war mir neu, liegt aber eigentlich nah). Um darauf zurückzukommen, dass Hunt Professor war: Das Buch liest sich nicht eben locker-flockig, sondern eben dem von mir vermuteten Ansatz Hunts gemäß eher sachlich-wissenschaftlich. Für echte Wissenschaft fehlte mir allerdings der kritische Ton Hunts. So komme ich zu dem Schluss, dass die Lektüre für Fans Lewis Carrolls bzw. für Studenten der englischen Literatur interessant sein könnte, denen das Buch bei der Deutung von Carrolls Werk eine Hilfestellung sein dürfte.