Absurd und originell

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Ich fange mit dem an, wodurch sich das Buch am meisten auszeichnet und das ist seine eigentümliche Sprache. „Die Ewigkeit in einem Glas“ hatte von Anfang an einen so einnehmenden und gleichzeitig irritierenden Schreibstil, dass ich mir nicht sicher war, ob es 1. genau meinen Geschmack trifft und eine kreative und sprachgewaltige Abwechslung ist oder 2. mich mit Fortschreiten der Geschichte zu Tode nerven würde. Ersteres war zum Glück der Fall. Es fällt mir nicht leicht, die Ausdrucksweise von Jess Kidd in Worte zu fassen. Erzählt wird die Geschichte im Präsens und in der dritten Person - von einem allwissenden Erzähler scheinbar, der sich subtil über die Geschichte und die meisten Protagonisten lustig macht. Er kommentiert mit Klammern, Ausrufezeichen, Kursivierungen; zuweilen wird der Leser direkt adressiert wie auf S. 33: „Schau nach oben“.

So gut mir die Sprache eigentlich auch gefallen hat, muss ich doch einiges kritisieren - an der Übersetzung. Die beiden Übersetzer haben nämlich leider eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die vielleicht den absurd-amüsanten Stil von Jess Kidd unterstützen sollten, wobei sie leider übers Ziel hinausgeschossen sind. Englische Wörter werden teilweise direkt ins Deutsche übertragen ohne Rücksicht auf das Sprachregister: „miraculous“ ist im Englischen ein ganz normales Wort, die Wahl von „mirakulös“ (S. 20) auf Deutsch liest sich aber sehr befremdlich. Bei Sätzen wie „Die Apothekerinnung ist immer noch fassungslos.“ (S. 156) weiß man hingegen überhaupt nicht, was gemeint ist und ob es sich um einen Fehler oder ein weiteres sprachliches Hirngespinst handelt. Ein weiteres Beispiel: „Ihr dreht sich das Herz im Leibe herum.“ (S. 86). Ich finde, dass das Werk schon im Original seltsam genug ist und man nicht an der fein abgestimmten Ausdrucksweise der Autorin hätte herumpfuschen sollen.

Darüber hinaus hat mir alles andere sehr gut gefallen. Das Buch ist sowohl spannend erzählt als auch geschickt konstruiert mit Rückblicken und einer Geschichte in der Geschichte, die der entführten Christabel erzählt wird. Aus diesen Schnipseln setzt sich Schritt für Schritt ein Gesamtbild der Entführung und von Bridies Vergangenheit zusammen. Die Figuren waren interessant und glaubwürdig, wenn sie auch teilweise grotesken Karikaturen ähnelten, denn fast jeder in dem Buch wird als irgendwie unansehnlich beschrieben. Auch Bridie ist zwar nicht unattraktiv, hat dafür aber einen skandalös-schlechten Kleidungsstil. Möglicherweise soll sich in dieser allgegenwärtigen Hässlichkeit das schmutzige London des 19. Jahrhunderts widerspiegeln. In jedem Fall passte das zur Geschichte und besonders von den Nebenfiguren habe ich einige ins Herz geschlossen. Die romantischen Gefühle, die sich im Verlauf des Buches zwischen Bridie und einer weiteren Figur entwickeln, werden unglaublich schön beschrieben, wenn sie auch für den Leser (aber in gewisser Weise auch für Bridie selbst) aus dem Nichts kommen. Der Verlauf dieser Romanze hat mich zu Tränen gerührt. Ergänzt wird die tolle Erzählung durch obskure Informationen zu Medizingeschichte und Mythologie. Herrliche Situationskomik lockert die tragischen und teilweise grausamen Geschehnisse auf.

Alles in allem eine gelungene Gothic Novel.