Brutales Krimi-Drama über Kindesmissbrauch und Drogensucht mitten in der Corona-Pandemie

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alekto Avatar

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Leigh Collier ist seit einem Jahr als Anwältin für Bradley, Canfield & Marks tätig. Als sie eines Sonntag Abends gerade die Schulaufführung ihrer Tochter Maddy besucht, erhält sie einen Anruf von Cole Bradley, einem der Gründer ihrer Kanzlei. Andrew Tenant, der der Sohn eines von Bradleys ersten Mandanten ist, wird der Vergewaltigung beschuldigt. Andrew hat ausdrücklich nach Leigh als seiner neuen Anwältin verlangt, nachdem er seine bisherige Anwältin Octavia Bacca, eine der renommiertesten Strafverteidigerinnen, gefeuert hat. Das ergibt keinen Sinn für Leigh bis sie ihrem neuen Mandanten und seiner Mutter gegenübersteht. Denn Leigh kennt Andrew aus ihrer Jugend und verbindet mit seinem Vater ein düsteres, für so lange Zeit in ihrer Vergangenheit begrabenes Geheimnis.

Die falsche Zeugin wird von Slaughter aus zwei verschiedenen Perspektiven, die zusätzlich zu der von Anwältin Leigh auch die von ihrer Schwester Callie umfassen, und auf zwei Zeitebenen erzählt. Dabei schildert sie zum einen die Ereignisse, die sich vor mehr als zwei Jahrzehnten in 1998 zugetragen haben und die sich um Leighs lang vergessenes Geheimnis ranken. Zum anderen ist die Handlung in der Gegenwart angesiedelt, womit das Jahr 2021 gemeint ist, und wird tageweise erzählt. Denn als Leigh den Fall von Andrew übernimmt, verbleiben nur acht Tage bis zum Verhandlungsbeginn der Anklage gegen Andrew im Rahmen eines Geschworenenprozesses.
Die falsche Zeugin ist eigentlich drei Romane in einem. Neben dem düsteren Krimi, der der brutalen Vergewaltigungsserie folgt, enthält das Buch noch ein Drogen-Drama, das um Callies Abstieg in die Drogensucht und ihren fortschreitenden Verfall kreist, und greift das aktuelle Zeitgeschehen in Gestalt der Corona-Pandemie auf, indem etwa die sozialen Distanzierungsmaßnahmen bei einer Schulaufführung so detailliert wie der Gebrauch von Desinfektionsmittel und Masken beschrieben werden. Leider fügen sich diese drei verschiedenen Teile nicht gut ineinander, sondern bleiben quasi nebeneinander stehen. So büßt das brutale Krimi-Drama, das im Kern erzählt wird, immer wieder an Intensität und Spannung ein, wenn ausführliche Einschübe zu Drogenexzessen oder den Schrecken der Corona-Pandemie erfolgen.
Da ich das Krimi-Drama, das sich mit den Verbrechen der Vergangenheit und Gegenwart auseinandergesetzt hat, als stärksten Teil der falschen Zeugin empfunden habe, hätte mir das Buch besser gefallen, wenn Slaughter sich darauf konzentriert hätte. So hätte die Autorin auch auf Wiederholungen verzichten können, die dadurch erforderlich sind, da sie nur so nach den ausufernden Beschreibungen von Callies Drogensucht oder Leights Corona-Infektion den Faden der eigentlich von ihrer erzählten Handlung wieder aufzunehmen vermag.
Da die Ereignisse sowohl in der Gegenwart als auch Vergangenheit aus Sicht von Leigh und ihrer Schwester Callie geschildert werden, war ich gleich an beiden nah dran und konnte tiefere Einblicke in ihre Gedankenwelt gewinnen. Leider wird Callie dabei primär einseitig über ihre Drogensucht charakterisiert. Im Gegensatz dazu ist Leigh die Frau mit den hundert Gesichtern, was ihre Figur für mich nicht sonderlich nachvollziehbar hat werden lassen. Anstatt Leigh mit so vielen, verschiedenen Charakterzügen auszustatten, die sie je nach Bedarf zeigt, hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin mehr Abwechslung durch weitere Perspektiven in ihre Krimi-Geschichte hineingebracht hätte. Angeboten hätten sich dafür etwa "Deal-sie-runter" Dante Carmichael, der als Staatsanwalt Andrew anklagt, das sympathische Opfer Tammy Karlsen, der patente Ermittler Sean Burke sowie die Tätersicht. Da ein Täter, den ich so kaum habe kommen sehen, kurz vor Schluss enthüllt wurde, hätte ich mir gewünscht, mehr über dessen Hintergrund zu erfahren.