Regt zum Nachdenken an

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ichgebäre Avatar

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Worum geht es?

Antoine wächst ohne Vater auf. Als er 6 Jahre alt ist, verlässt auch seine Mutter ihn. Ab da kümmert sich die alleinstehende junge Krankenschwester Charlotte um ihn.

Ein paar Jahre später verrichtet Charlotte ihren Dienst im Geburtshaus, als ein Vater , Jules, sie in eine schwierige Lage bringt: Als die beiden sich sehen, spüren sie kurz eine innige Verbindung zu einander, doch dann verlangt Jules von Charlotte, zwei Kinder zu vertauschen. Anderenfalls werde er als Richter sich dafür einsetzen, dass Charlotte ihren Pflegesohn Antoine ins Heim geben muss.

Jules besteht auf dem Kindertausch, weil seine Frau bereits 3 Kinder bei oder kurz nach der Geburt verloren hat. Seine jetzige neugeborene Tochter ist ebenfalls sehr schwach und Jules fürchtet, sie zu verlieren. Er befürchtet, dass seine Frau und ihre Ehe durch einen erneuten Schicksalsschlag zerbrechen würden.

Charlotte vertauscht die Kinder. Danach bricht sie alle Verbindungen ab und zieht mit Antoine nach Fernost. Die vertauschten Kinder wachsen, ohne von einander zu wissen, bei falschen Eltern auf: die gesunde Tochter eines fernöstlichen Perlentaucherpaares wächst in der europäischen oberen Mittelschicht auf; die lungenkranke Tochter des Juristen und seiner Frau wächst in der Familie des Perlentauchers auf.

In den nächsten Jahren entfremden sich Jules und seine Frau immer weiter voneinander, weil das Geheimnis seine Seele belastet.

Jahre später finden die Beteiligten auf ungewöhnlichen Wegen wieder zueinander. Antoine erfährt, warum seine Mutter ihn verlassen hat. Die zerbrochene Ehe erfährt eine Art Heilung. Die Herkunft der vertauschten Mädchen klärt sich auf.

Das Buch endet mit dem Satz „Und tastend erwachte in ihm [Antoine] der Glaube an Wunder.“


Meine Meinung

Ich bestellte das Buch, weil ich nach dem ersten Kapitel nicht anders konnte, als weiterzulesen. Selten habe ich ein Buch erlebt, dass bereits auf den ersten paar Seiten so leise, aber doch eindrücklich einen so starken Spannungsbogen aufbaut.

Als ich das Buch dann in der Hand hielt und komplett las, war ich zunächst enttäuscht. Das Tempo und die Dramatik der Ereignisse ließen nach. Die auslösenden Ereignisse waren vorbei; nun erzählte das Buch allmähliche Entwicklungen anhand von Ausschnitten aus den nächsten Jahren.

Dennoch tat es mir gut, zu lesen. Ich hatte die Charaktere, die alle sowohl gute und schlechte Eigenschaften haben, liebgewonnen. Ich wollte wissen, wie es weiterging.

Was mich dagegen beim Lesen störte, war die vermutlich bewusste Verschleierung von Ort und Zeit. Die Vornamen Jules und Antoine lassen auf eine frankophone Umgebung schließen. , Charlotte, Florentine und Louise sind gebräuchliche Namen überall in Europa. Die Namen in der Familie des Perlentauchers – Sarasvati, Ni Lou, Pravat, Noyan, klingen fernöstlich. Sarasvati ist indischen Ursprungs, Noyan persisch, Pravat ist thai. Wo genau allerdings die Geschichte in Asien und Europa spielt, bleibt verborgen.

Genauso ist es mit der zeitlichen Angabe. Es gibt Dampflokomotiven, es wird nicht telefoniert, Babys werden im Geburtshaus im Babyzimmer statt bei der Mutter untergebracht. Lungentransplantationen sind gerade erst aufgekommen und noch experimentell. Das passt für mich nicht unbedingt zusammen. Zwar gab es bereits in den 1960er Jahren erste Lungentransplantationen; erfolgversprechend waren diese jedoch laut Wikipedia erst später.

Ich finde solche Ungenauigkeiten immer ziemlich frustrierend. Es handelt sich bei dem Buch schließlich nicht um Science Fiction oder Fantasy. In einer Zeit, in der Herz- und Lungentransplantationen möglich sind, sollte man in einem drängenden Fall doch eher ins Flugzeug steigen statt mit der Dampflok und dem Schiff zwischen den Kontinenten umher zu reisen.

Jenseits dieser Ungenauigkeiten entwickelte ich beim Lesen gemischte Gefühle. An manchen Stellen konnte ich die Handlungen und persönlichen Entwicklungen der Charaktere gut nachvollziehen. In anderen Dialogen dagegen hatte ich den Eindruck, dass dort noch schnell eine Lebensweisheit eingefügt werden musste, ohne dass mir verständlich war, wie die entsprechende Person nun zu dieser Einsicht kam.


Die Autorin Clara Maria Bagus widmet das Buch ihrer Familie und einem Land in Fernost, das sie tief geprägt hat. Genau das kommt immer wieder durch: Dankbarkeit, das Vertrauen auf eine übergeordnete Macht, die alles ordnet, und Liebe und Vergebung sind zwar nicht allein fernöstlichen Religionen vorbehalten, doch werden sie im Buch in der fernöstlichen Gesellschaft wesentlich stärker gelebt als im Westen.


Fazit:
Nach dem ersten Kapitel hatte ich extrem hohe Ansprüche an das Buch, die sich im weiteren Verlauf nur bedingt erfüllten. Die zeitlichen und räumlichen Ungenauigkeiten lenkten mich immer wieder von der Handlung ab. Und die Weisheit, die manche Menschen durch ihre Worte offenbarten, zeigt sich nicht immer in ihren Handlungen.

Dennoch löste das Lesen und Nachdenken immer wieder Zweifel an meinem eigenen Lebensweg aus. In wie weit lebe ich das, was mir gut tut? Wo lebe ich eine Lüge, und wie bin ich in diese Situation gekommen? Ich werde nicht aufgrund dieses Buches mein Leben radikal ändern. Doch es hilft mir, zu sehen, dass es nie zu spät ist, um die halbseidenen Elemente im Leben gegen das zu tauschen, was mich wirklich erfüllt.

Und so lautet mein Fazit: Die Farben von Glück ist ein lesenswertes Buch. Es macht nachdenklich, doch es beruhigt auch die Seele. In einem völlig anderen Zusammenhang sagte mein Mann heute Morgen die genau passenden Worte: Am Ende wird alles gut. Wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.