Weniger als Unterhaltung, dafür mehr als Kunst zu verstehen

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ge5cha Avatar

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Gerade eben habe ich das Buch endlich zu Ende gelesen. Es hat sich sehr lang gezogen, das muss ich schon sagen. Einen einzelnen Grund gibt es dafür nicht, dafür mehrere.

Ich wollte das Buch unbedingt lesen, weil es nicht nur hübsch aussieht, sondern auch der Inhalt sehr gut klingt und ich immer auch auf der Suche nach dem Glück bin. Das war auch die Rettung des Buches, wäre das nicht der Fall, hätte ich es wohl nicht zu Ende geschafft.

In verschiedenen Rezensionen habe ich sehr schlechte Kritiken gelesen, wahrscheinlich denkt der ein oder die andere jetzt, das sei auch hier der Fall, schon angesichts der Sternbewertung, aber tatsächlich ist es das nicht. Während dem Lesen fühlte ich mich oft wie beim Betrachten eines impressionistischen Kunstwerks. Es wirkt unscharf, pastellig, sehr ruhig und irgendwie kann ich mich nur sehr schwer einfügen. Ich persönlich bin da eher der expressionistische Typ, aber es kann halt nicht nur Liebhaber von Picasso geben, viele mögen auch Monet.

"Die Farbe von Glück" ist kein Tatsachenbericht und soll auch keiner sein. Es ist kein Wohlfühlbuch, sondern soll zum Nachdenken anregen und das tut es definitiv auch. Die Personen treffen Entscheidungen, oft genug falsche, die sich dann durch Irrungen und Wirrungen doch irgendwie zum Guten wenden. Oder doch nicht? Oder doch? Was wohl viele als sehr störend empfinden, ist die unendliche Liebe und das große Verständnis, das aus jeder Seite tropft, egal wie schrecklich die Tat ist, die begangen wurde. Wenn man aber aufhört das Buch zur Unterhaltung zu lesen, dann geht es eigentlich. Man fängt an nachzudenken: Wie hätte ich gehandelt? Könnte ich darüber stehen? Was unterscheidet mich davon? Warum denke ich anders darüber?
Dazu sprechen die Protagonisten allesamt in Worten, wie sie nicht einmal der Dalai Lama in einem Vortrag benutzen würde. Gefühlt jeder Satz ist eine Lebensweisheit. Das ist sehr anstrengend, oft auch nervig, aber vermittelt bei mir eben noch mehr den Eindruck eines Kunstwerks, das bewusst nicht als Unterhaltungslektüre für Zwischendurch gemeint ist.

Vom Schreibstil her ist das Buch sehr langsam, es benutzt sehr viele Bilder, die, so intensiv verwaschen beschrieben, teilweise erzungen wirken, aber das impressionistische Bild vor den Augen entstehen lassen. Es ist sehr, sehr unrealistisch - Wer Logik sucht, ist definitiv fehl am Platz. Dazu kommen magische Elemente, die man getrost hätte weglassen können, da sie dem ganzen oft genug einen esoterischen Hauch einflößen, und das brauche ich tatsächlich wirklich nicht. Ich habe mich versöhnt damit, indem ich mir meine Tante vor Augen geführt habe, die ein Schatz ist, aber der festen Überzeugung, dass ich hellsichtig bin: Auch Spinner sind ganz nett, wenn man die Spinnerei noch belächeln und ignorieren kann. Das macht Antoine ja zwischendurch auch. (Der einzige Moment, in dem ich mich mit einem Charakter wirklich identifizieren konnte)

Die Story an sich, um zwei vertauschte Kinder, ein verlassenes Kind, die Suche nach dem Weg im Leben, Wünsche, Hoffnungen, Schmerz, Leid und Tod,... Die empfand ich als großartig und hätte sie gern intensiver, expressionistischer gehabt, obwohl sie mich auch so teilweise so aufgewühlt hat, dass ich das Buch zur Seite legen musste, um mich zu sortieren. Hier sollte vielleicht auch mal jemand eine Trigger Warnung aussprechen, da gerade die Schlüsselszenen, als die Mutter ihr Kind verlässt, bzw. die Kinder vertauscht werden evtl. nicht so leicht zu verdauen sind für Menschen mit schlechten eigenen Kindheitserinnerungen, bzw. Eltern, deren Kinder schlafend daneben liegen. Auch wird Suizid thematisiert.

Mein Fazit: "Die Farbe von Glück" ist kein Unterhaltungsbuch für Zwischendurch und auf keinen Fall für jeden geeignet. So wie es für die einen wohl ein Must Read wird, ist es für die anderen absolut unnötig, bzw. ungeeignet.