Ein Feuerwerk der Intertextualität

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missmarie Avatar

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Beckett, australische Buschfeuer, Müllinsel im Pazifik, Rassismus, ein unerfüllter Kinderwunsch - diese auf den ersten Blick zusammenhangslosen Themen vereint Claire Thomas auf ganz großem literarischem Niveau. In ihrer Erzählung meint der Leser immer wieder etwas Bekanntes zu entdecken, nur um es im nächsten Satz in ganz ungewohnter Form neu zu sehen. Ein Kammerspiel, das im wahrsten Sinne des Wortes Perspektiven eröffnet.

Margot ist etwa 70 Jahre alt und Professorin. Ihr hat man just den Ruhestand nahegelegt. Sie solle sich bitte um ihre Nachfolge kümmern.

Summer, Anfang 20, Schauspielschülerin und Platzanweiserin in einem australischen Theater. Sie ist in Sorge, denn ihre Freundin April hat sich auf gemacht, die Eltern beim Kampf gegen das Buschfeuer zu unterstützen.

Ivy, Mutter und Philanthropin in den mittleren Jahren, gibt sich vollständig der Mutterliebe zu ihrem Sohn hin. Nichts ist bezaubernder, nichts erfüllender als seine unbeholfenen Schritte ins Leben.

Alle drei Figuren begleitet der Leser bei ihrem Theaterbesuch. Sie schauen alle dasselbe Stück - Glückliche Tage von Samuel Beckett - und nehmen die Bühnenhandlung zum Anlass, über ihre Sorgen und Probleme zu sinnieren. Kleine Requisiten wie eine Spieluhr oder ein Revolver bieten Anlass für Erinnerungen und Selbstbeschau. Ohne zu viel zu verraten, kann man festhalten, dass die Figuren jeweils eine tiefe Entwicklung durchlaufen, bevor der letzte Vorhang fällt.

Die herausragende literarische Qualität dieses Romans ergibt sich aber nicht nur aus dem Kammerstück im Kammerstück. Die Fülle an intertextuellen Bezügen ist unglaublich groß - stellenweise wünscht man sich ein Proseminar, in dem man gemeinsam allen Verweisen und Anspielungen nachspüren kann. Natürlich gibt es viele direkte Zitate aus Becketts Drama. Daneben spiegeln die Figuren aber auch andere Stücke wie Albers "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" Dabei werden Motive verändert, verdreht, auf Figuren aufgeteilt und modernisiert. Ergänzt werden diese "alten" Dramen um aktuelle Probleme wie Klimawandel und die Entscheidung zwischen Kind und Karriere. Nahezu auf jeder Seite findet man einen kleinen Motiv-Krumen, der zu einer Reise in die Literaturgeschichte und zu den Problemen der Gegenwart einlädt. Ein großer, literarischer Spaß!

Am Ende bleiben allerdings viele Fragen offen. Der Leser ist hier durchaus gefordert, diese für sich selbst zu beantworten. Auch für die Parallelen-Suche zu anderen Werken gibt es nur ganz vereinzelte Hinweise (Aprils Hund ist bspw. nach Virginia Woolf benannt). Wer herausfordernde Lektüren schätzt, wird Thomas Roman lieben. Wer lieber eine seichte Geschichte mit eindeutiger Handlung und wenig Offenheit sucht, greift lieber zu einem anderen Werk.