Vom zerdenkendem Publikum und der Klimakrise

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la calavera catrina Avatar

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„Wenn Summer im Publikum sitzt, wünscht sie sich oft, sie könnte in die Köpfe der Menschen hineinsehen. Achsen sie auf das Stück, oder sitzen sie einfach nur da und hängen irgendwelchen belanglosen Gedanken nach, oder müssen sie dringend aufs Klo und können die Pause kaum erwarten?“

In diesem außergewöhnlichem Roman geht es um drei verschiedene Frauen, die sich eine Theateraufführung ansehen, während in den australischen Bergen ein Buschfeuer wütet. Extreme Hitze, andauernde Dürreperioden und einer Stadt voller Buschfeuerqualm, während das Theater eine unberührte Kulturblase darzustellen scheint. Alle drei Frauen kennen das Stück bereits und sind mit ihren Gedanken ganz woanders.

Die Tragikomödie von Samuel Beckett wurde 1961 uraufgeführt und ist eines seiner mistgespielten Werke. Es zeigt das menschliche Ableben im Zyklus apokalyptischer Szenarien und spiegelt die Paradoxie des Lebens und seiner Protagonisten in ihrer naiven Absurdität wieder. Claire Thomas verstrickt dessen darstellende Kunst gekonnt mit ihren Figuren, bei denen es Erinnerungen, innere Bilder und Kommentare auslöst. Sie verlieren sich immer wieder sinnierend in ihren Gedanken, wodurch für den Leser ein persönliches Bild entsteht.

„Aber vielleicht interpretiere ich zu viel hinein. Vielleicht zerdenke ich das.“

Die Gedanken der Frauen enthalten teilweise skurrile Ideen und übereifrige Problemstellungen: Pornographie im Weltall, umweltfreundliche Ei-Bestattungen, Rassismus, Liebe, Demenz, Angststörung und Weltschmerz. Deutlicher Schwerpunkt liegt auf der Umweltzerstörung und Klimakrise. Hier zeichnet sich eine wichtige Botschaft des Romans ab. Während die Älteste der Frauen selbstkritisch auf ihre persönlichen Dramen blickt und die etwa vierzigjährige Mutter ihre Höhen und Tiefen beleuchtet, scheint die zweiundzwanzigjährige Summer für alle, die Angst wegen der Brände, auf ihren schmalen Schultern geladen zu haben.

„Ich kann unmöglich die Einzige hier drinnen sein, die sich über die Feuer da draußen Gedanken macht.“

Auch die Erzählweise ist interessant: das Bühnenstück läuft chronologisch und die Figuren wechseln sich in ihrer Innenschau jede Szene ab; sowohl der allwissende Erzähler berichtet, als auch die Figuren erzählen aus ihrer eigenen Perspektive.
Was mir auch besonders gefallen hat, war der außergewöhnliche Aufbau des Romans. Die Pause nach dem ersten Akt verhält sich wie ein Bühnenstück in vier Szenen, welches die losen Fäden der Figuren durch unverhoffte Begegnungen miteinander verbindet. Mit diesen Erkenntnis kommt es im zweiten Akt zur finalen Schlussszene, in der jede der Frauen einen Entschluss fast.

Einerseits ist der Roman irgendwie spannend, obwohl kaum etwas passiert, weil man erfahren möchte, worauf die Geschichte abzielt. Es fallen einem viele Dinge auf und es wird ausreichend Gesprächsstoff geboten. Die Idee dahinter fand ich außergewöhnlich; den Interpretationsspielraum geistreich und erfrischend. Andererseits hat mir ein tieferer Bezug zu den Figuren gefehlt. Trotz all der persönlichen Einblicke und schmückendem Beiwerk, stand ich ihnen leidenschaftslos gegenüber.

Fazit: Ein vielversprechender Roman mit gekonnten Überleitungen, einer raffinierten Erzählweise, vielfältigen Ideen und einer Fülle von Themen, dem ein absurdes Bühnenstück als Rahmen dient. Wer diesen Roman liest, benötigt mentale Disziplin, Neugier und eine Schwäche für literarische Kreativität.