Keine Erlösung

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robertp Avatar

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Reiche Leute haben keine Probleme. So denken alle im Umfeld der Familie Fletcher, die im idyllischen Vorort Middle Rock, an der Küste, ein eindrucksvolles Imperium errichtet haben. Middle Rock ist definiert durch Reichtum und in den 80igern waren die Fletchers hier die Könige – bis der Erbprinz Carl entführt wurde. Nach fünf Tagen und der Bezahlung eines Lösegeldes wurde er freigelassen, aber er war nicht mehr derselbe und mit ihm litt die ganze Familie bis heute.
In mehreren Rückblenden erzählt Brodesser Akner die Geschichte aus der Sicht der Kinder Carls. Nathan – ängstlich, sein Leben lang – kann sich als Anwalt nicht durchsetzen, er bleibt immer in der zweiten Reihe, da er mit Menschen nicht kommunizieren kann.
Bernard „Beamer“ wird Drehbuchautor eines erfolgreichen Filmes (ein Entführungsdrama) und vermag sich nicht weiterzuentwickeln. Drogen, Sexsucht und Alkohol führen zu seinem persönlichen Untergang. Nur die – nicht jüdische – Ehefrau erhält ihm am Leben.
Jenny, die Jüngste und nach der Entführung geboren, trennt sich von der Familie, bleibt aber, als ewig Studierende Gewerkschaftlerin, im Gegenspiel reich und arm verhaftet.
Die Geschichte ist interessant erzählt. Die Entführung wird nie aufgeklärt. Dem Leser fallen während des Lesens immer neue kleine Puzzlesteine in den Schoß, sodass er sich ein Bild zusammensetzen kann, das dem Opfer Carl niemals vorgelegt wird.
Die Figuren sind durch die Entführung beschädigt worden, bewusst Carl und seine Ehefrau, unbewusst die Kinder, die durch diese Tat verbunden und verwundbar gemacht wurden. Eingesponnen in ihrem familiären Netz können sie nicht mit der Außenwelt in Kontakt treten. Sie leben in einer Blase, deren Wand sie vom „richtigen“ Leben abschirmt. Auch wenn sie mit anderen Menschen in Kontakt treten ist immer die Wand – auch ihr Reichtum – als Puffer dazwischen.
„Was man nie gesehen hatte, … konnte man nicht haben wollen.“ (S. 534)
Man lernt einiges über die jüdischen Sitten und Gebräuche, Familienbande und Snobismus. Sobald man sich auf die Geschichte einlässt kann man nicht mehr aufhören zu lesen. Die Geschichte aus drei Perspektiven erklärt zu bekommen, macht Spaß, da jedes Kind andere Aspekte in seinem Leben für wichtig hält und so immer mehr Details bekannt werden.
Für die Familie Fletcher gibt es keine Erlösung aus dem Trauma der Entführung. Als Carl und seine Mutter 27 Jahre nach der Entführung sterben hinterlassen sie alle in eine neue Freiheit, aber sie werden ihre Familiengeschichte nicht ausblenden.
Für alle die sich mit dem Leben von reichen, jüdischen Familien auseinandersetzen und sich dabei unterhalten wollen. Etwas Kritik an diesem Leben fließt so nebenbei mit, macht die Personen aber nicht unsympathisch.