Geblendet vom Glamour

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cara_11 Avatar

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Rose ist eine Schreibkraft im NYPD in den zwanziger Jahren, die, abgesehen von den Greueltaten, die sie immer wieder protokollieren muss und den Streitereien mit ihren nervigen Zimmergenossin Helen, ein ruhiges Leben führt. Als ehemaliges Waisenkind schätzt sie sich glücklich, mit Schulungen und Kursen zu dieser doch einträglichen Tätigkeit gekommen zu sein, die sie, wie sie selbstbewusst verlauten lässt, sicherlich sehr gut erfüllt. Wie einflussreich die Arbeit als Stenotypistin in einem Polizeidepartment wirklich sein kann, und welche Macht die „Frau an der Schreibmaschine“ eigentlich inne hat wird einem allerdings erst später vor Augen geführt.
Das beschauliche Leben ändert sich, als – im Zuge einer Verschärfung der Maßnahmen gegen Schwarzbrennerei und Alkohol (wir befinden uns im Zeitalter tiefster Prohibition) eine neue Kollegin eingestellt wird – Odalie. Odalie zieht von Beginn weg alle in ihren Bann, vor allem aber auch die Vorgesetzten von Rose, den äußerst gesitteten, von Rose zur moralischen Instanz auserkorenen Sergeanten als auch den etwas liederlichen wirkenden Lieutenant Detective. Die neue Kollegin ist glamorös, charmant, selbstsicher, und verkörpert eigentlich genau das Gegenteil von Rose gestrengen Moralvorstellungen. Sie raucht, trägt einen Bob, flirtet mit allen und scheint auch die Arbeit nicht so ernst zu nehmen. Dennoch – oder vielleicht genau deshalb – ist Rose zutiefst beeindruckt, ihre Gedanken kreisen nur mehr um Odalie, um ihr Auftreten, ihre Kleidung, einfach alles. Rose brennt darauf, von Odalie wahrgenommen zu werden, die Gerüchte, die über Odalie in Umlauf sind, machen sie noch interessanter für Rose. Rose ist selig, als sich Odalie mit ihr anfreundet. Die Freundschaft entwickelt sich rasch, und Rose zieht bei Odalie ein und darf auch all ihre Kleider etc. mitverwenden.
Erst da offenbart die Kollegin ihr wahres ich: unter der Woche wird in Flüsterkneipen und verbotenen Bars gefeiert und getanzt, Rose ist aber bereits so sehr von Odalie überzeugt und sonnt sich in der Rolle der Freundin der von allen begehrten Odalie, dass sie ihre Moralvorstellungen über Bord wirft. Das geht schlussendlich soweit, dass sie sogar auf Odalies Anraten hin ein Protokoll verfälscht – was interessanterweise aber auch von dem so korrekten Sergeanten nicht weiter kritisiert wird. Allerdings fällt Rose nach und nach auf, dass Odalie es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, indem sie z.B. mitbekommt, dass über die Herkunft von Odalies Diamantarmbänder die unterschiedlichsten Geschichten existieren. Bei einem erschlichenen Urlaub im Haus wohlhabender Promis in Long Island taucht allerdings ein junger Mann auf, der überzeugt ist, Odalie schon einmal begegnet zu sein, und dass Odalie am Unglück seines Cousins Schuld war. Genervt nötigt Odalie Rose, den Urlaub abzubrechen, und wieder an den Schreibtisch zurückzukehren. Rose Welt beginnt zu bröckeln, als sich bei Botengängen, die Rose für Odalie erledigt, abzeichnet, dass Odalie im Handel mit Alkoholika ihre Finger im Spiel hat und dabei auch über Leichen geht, und auch der gute Sergeant gar nicht so moralgetreu ist, wie Rose ihn eingeschätzt hat. Doch da ist es für Rose eigentlich schon zu spät.
Der Erzählstil orientiert sich an den twenties, die Story war gut zu lesen, die Charaktere überzeugend dargestellt.
Ein bisschen gestört hat mich die Übermacht der Odalie, auch mit Ende Zwanzig kann es kaum möglich sein, nächteweise durchzufeiern und zu tanzen und trotzdem jeden Tag seine Arbeit zu erfüllen. Zudem befreit die junge Dame ganze Belegschaften von verbotenen Kneipen aus der Untersuchungshaft und ist auch noch der Drahtzieher im Alkoholgeschäft, und davon soll – auf einem Polizeirevier – keiner etwas mitbekommen?! Prinzipiell aber eine tolle Story und einmal ein „ganz anderes“ Buch, fasziniert hat mich auch die Arbeit der Stenotypistinnen am Polizeirevier und welche Macht hier eigentlich einem Menschen über das Leben eines anderen Menschen gegeben wurde….