Zwischen Skepsis und tiefer Zuneigung

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kainundabel Avatar

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Ja, ich war skeptisch, als ich den Titel des Buches sah. Ich dachte zunächst an eine Geschichte à la "Der Hundertjährige, der...", ein durchaus gelungener Roman, aber in letzter Zeit hängen sich doch recht viele Autoren (Verlage?) bei der Titelwahl an dieses erfolgreiche Vorbild an. Zum Glück habe ich dennoch die Leseprobe gelesen und muss sagen: alle Achtung! Da ist Carrie Snyder etwas Wunderbares gelungen. Der Besuch auf dem Friedhof "voller toter Kinder" ist als Einstieg in die Geschichte ausgezeichnet gewählt. Zusammen mit Aganetha als Protagonistin und Ich-Erzählerin ist man als Leser sofort eingebunden in ihre Familienbiografie. Mir ist sie direkt ans Herz gewachsen, so offen, so frei, so kindlich und voller Emotionen, selbst dann noch, wenn sie fast schon lapidar den frühen Tod der als Söhne Geborenen erzählt und selbst froh ist, ein Mädchen zu sein. Jetzt ist Aganetha Smart, Jahrgang 1908, gebrechlich, alt, Bewohnerin eines Altenheims und hat sich bereit erklärt, ein Interview zu geben. Schließlich ist sie nicht irgendwer, sondern die erste olympische Goldmedaillengewinnerin im Laufen, einer bis dato den Männern vorbehaltenen Disziplin. Noch erfahren wir nicht viel über die alte Dame, die sich wohl gegen die Konventionen ihrer Zeit zu stellen wusste. Der gekonnte Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Ist-Zustand und Erinnerung, ist Literatur vom Feinsten. Dazu ein beneidenswert guter Schreibstil. Es ist wohl Carrie Snyders erster Roman, und wenn das Buch hält, was die Leseprobe verspricht, dann ist es ein wirklich großartiger Roman!