Aganethas Lebenslauf

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bavaria123 Avatar

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Aganehta gewann im Jahr 1928 für Kanada eine Goldmedaille als junge Läuferin. Was heute zwar eine Titelzeile wert ist, war zu der Zeit revolutionär, denn Frauen durften damals erstmalig an diesen Disziplinen teilnehmen.
Aber nicht nur sportlich bestimmt das Laufen ihr Leben, es ist auch ein Weglaufen vor der Realität, das ihren Lebenslauf bestimmt.

Ich war von dem Leseeindruck schon sehr angetan. Auf wenigen Seiten war ich schon mitten im Leben der Protagonistin, habe ihre Denkweise da schon als sehr ansprechend empfunden. Sie ist über 100 Jahre alt und beschreibt sich in einem Zustand, der schlicht wirkt. Auf das Nötigste zusammengestutzt. Reduziert. Eingedampft. Das hat mich beeindruckt. Ebenso ihre weitere Gedanken...sie läuft noch jetzt ohne Auszuruhen, als ob selbst jetzt noch Zeit wäre und sie ein Ziel erreichen würde, wovon sie noch gar nicht weiß, was es ist. Solche Vorstellungen hat möglicherweise jeder mal in seinem Leben. Wahrscheinlich je älter man wird um so mehr.

An dem Buch hat mir alles sehr gut gefallen. Da ist zum einen das schlichte, aber treffende Cover. Die Hauptfigur Aganetha Smart, die aus ihrer Sicht erzählt, finde ich sehr sympatisch. Sie kommt mir sehr ehrlich vor, wenn sie es für sich selbst möglicherweise erst dann ist, als sie ihr Leben aufgrund der vermeintlichen Entführung durch zwei junge Menschen noch einmal Revue passieren lässt.
Carrie Snyder schreibt einfühlsam aber nicht kitschig. Sie schreibt fiktiv und doch hat die Geschichte einen historischen Hintergrund. 1928 wurden in Amsterdam tatsächlich die ersten Olympischen Spiele mit Frauenwettkämpfen in einigen Leichtathletikdisziplinen ausgetragen. So durfte auch eine echte Zeitzeugin einen Auftritt in Aganethas Rückblick haben: Alexandrine Gibb, die Team-Managerin.
Ich finde es sehr gelungen, wie Wahrheit und eigene Ideen letztlich zusammen schmelzen.

Das Buch liest sich flüssig und durchaus auch mit Spannung. Als Leser kann man mitfühlen und auch immer mal ins Nachdenken kommen. Gefallen haben mir besonders auch solche Passagen wie diese:
Wir sind die Summe unseres Handelns und unseres Nichthandelns, ja das ist relativ leicht zu verstehen. Schwerer einzusehen ist, dass wir die Summe der eigenen Emotionen sind, die flackern, unstet sind, sich verändern durch die Erfahrung, durch das, was wir uns selbst nicht in Worten sagen können, durch den Kummer den wir ansammeln.
Aganetha sammelt einiges an Kummer während ihres Lebenslaufes an. Das Buch hat nachdenkliche Passagen, aber ich empfinde es nicht als düster.

Mich hat " Die Frau, die allen davon rannte" sehr beeindruckt und ich kann Carrie Snyder zu ihrem Erstlingsroman nur beglückwünschen. Ein absolut gelungenes Buch, das ich nicht nur Leichtathleten empfehlen kann.