anders als erwartet

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Carrie Snyder erzählt die Lebensgeschichte von Aganetha Smart in Rückblenden. Die Rahmengeschichte lässt die 104jährige mit zwei ihr unbekannten jungen Menschen eine Reise zu ihren Wurzeln machen, wo die Häuser und Orte in ihr Erinnerungen an ihr damaliges Leben wachrufen. So wird eine Familiengeschichte langsam zusammengepuzzelt, in der Tod, Familienverhältnisse und rollenbilder eine wichtige Rolle spielen. Mancher tiefgründige Gedanke über das Leben Anfang des 19. Jahrhunderts wird nur angerissen; besonders die Rolle der Frau wird beleuchtet. Selbstbestimmung und eigene Vorstellungen vom Leben, von Karriere und von Partnerschaft in der Ehe treffen hart auf festgefahrene Rollenbilder und überkommene Erwartungshaltung der Eltern und Großeltern. In diesem Spannungsfeld wächst Aggie auf, schon früh erlebt sie den Umgang mit dem Tod von Familienangehörigen, macht sich Gedanken darüber, wie unterschiedlich Menschen damit umgehen.
Ihre Art, Dinge zu verarbeiten, heißt Laufen. Sie läuft den trüben Gedanken davon, den Gefühlen von Zwang, Ungerechtigkeit und Eingesperrtsein. Aber es ist immer nur eine Ausflucht für kurze Zeit, wenn der Lauf endet, ist auch die Situation von vorher wieder da. Auch der Olympiasieg bringt keine Befreiung, sondern wird von der Wirklichkeit der ungewollten Schwangerschaft eingeholt.
Aggie erfährt in ihrem Leben wenig Solidarität, kaum Unterstützung und noch weniger Liebe. Trotzdem steht sie alles durch, was das Schicksal ihr aufträgt - mit stoischer Ruhe und manchmal mit stiller Hilflosigkeit.
Für mich stand im Mittelpunkt nicht so sehr die Läuferin, sondern die Frau, die gerne ein glückliches Leben gehabt hätte und für die es doch immer nur in einem "ich mache das Beste daraus" endet. So ist das Lauftraining nur ein Symbol dafür, etwas zu tun, was man als Frau eben eigentlich nicht tun darf; genauso, wie man eigentlich nicht außerhalb der Ehe schwanger werden darf. Passiert es doch, dann muss sich die Betroffene irgendwie darum kümmern. Wie sehr das in die Gefühlswelt von Aganetha einbricht, das gesteht sie sich erst ganz am Schluss - und danach scheint sie erst mit sich und ihrer Familie Frieden machen zu können.