Ein Frauenschicksal

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Einhundertundvier Jahre bewegtes Frauenleben fasst Carrie Snyder auf knapp 350 Seiten in ihrem Romandebut „Die Frau, die allen davonrannte“ zusammen. Als „Wirbel von hartgegossenen Momenten“ erlebt Aganetha Smart, die auch im hohen Alter ihren bissigen Humor nicht verloren hat, im Rückblick ihr Dasein - einen Wirbel von Ereignissen und Emotionen, den sie stets mit körperlicher Bewegung zu kontrollieren versucht hat. Zwei junge Leute, Kaley und Max, holen die hochbetagte Frau zu einem Ausflug aus ihrem Altenheim, mit der Absicht, sie zu einem Filminterview zu überreden. Aggie ist nämlich eine fast vergessene Berühmtheit: Im Jahr 1928 hat sie bei den Olmpischen Spielen in Amsterdam die Goldmedaille im 800m-Lauf der Frauen gewonnen. Der Trip mit Max und Kaley wird für die alte Dame jedoch mehr als nur ein sachlicher Bericht über ihre sportliche Laufbahn. Konfrontiert mit dem Ort ihrer Kindheit, tritt sie eine emotionale Reise in ihr vergangenes Leben an, schmerzhafte aber auch schöne Erinnerungen und Gefühle brechen auf - und nun kann sie, die früher immer in Bewegung war, „nur noch im Kopf“ davonrennen, gewissermaßen „aus Gewohnheit“.
In klaren, schnörkellosen Worten erzählt die junge Autorin sehr eindrucksvoll das lange Leben Aganethas. Vor dem geschichtlichen Hintergrund des frühen 20. Jahrhunderts schildert sie die Konventionen, Vorurteile und Tabus, die lange Zeit vor allem das Leben von Frauen geprägt und beeinträchtigt haben, und wie sie sich auf Aggies Leben auswirkten. Snyder gelingt es mühelos, die Gefühle des Lesers unmittelbar anzusprechen und ihn hinein zu ziehen in eine authentische, bewegende Familiengeschichte. Es erscheint ganz natürlich, wie die Gedanken der alten Frau übergangslos von der Gegenwart in ihre Vergangenhheit gleiten, dem Auf und Ab ihres Lebens folgend in „einer dunklen Welt des Wirrwarrs und des Zufalls“.
Ein schönes, vielversprechendes Romandebut, das den Leser nachdenklich zurücklässt!