Ein wunderbares Buch

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leseclau Avatar

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Aganetha Smart läuft und läuft und läuft. Doch sie läuft nicht nur allen, sie läuft auch allem davon. Es ist ihre rastlose Art, Erlebnisse zu verarbeiten oder zu verdrängen.
Geboren 1908 wächst sie auf einer Farm auf. Der Vater ist zum zweiten Mal verheiratet, Aganethas Mutter ist seine zweite Frau. Die erste Frau und auch viele seiner Kinder sind gestorben. Das lässt ihn zu einem zurückgezogenem Mann werden, der seine Erfüllung in Konstruktion und Bauen findet. Die Mutter ist Hebamme und lässt ihren Kindern bei all der notwendigen Arbeit auf dem Hof Freiheiten und Marotten. Viel gesprochen wird auf der Farm nicht, dennoch bestehen enge Bindungen zwischen den Familienmitgliedern.

Wir lernen Aganetha im hohen Alter von über 90 Jahren in einem Altenheim kennen. Ihr einst so leistungsfähiger Körper ist verfallen, ihr Geist hat klare und verwirrte Momente. Plötzlich tauchen zwei junge Leute auf, die sie aus dem Altenheim "entführen" und mit ihr noch einmal auf die Farm reisen. Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich. Einzelne Episoden aus Aganethas Leben werden klar und in der reflektierten Sprache einer Erwachsenen erzählt. Das macht für mich den großen Reiz des Buches aus. Aganetha ist erfolgreiche Leichathletin, sie gewinnt Gold bei Olympischen Spielen und ist Teil des ersten kanadischen Frauen-Leichathletik-Teams überhaupt. Sie läuft, weil sie das Laufen liebt, nicht für Ruhm oder feministische Ziele. Dennoch brechen genau diese Forderungen nach ihrem Sieg über sie herein. Sie ist völlig unerfahren und unvorbereitet, auf das, was nach dem Sieg passiert. Und so muss sie viel Auf und Ab erleben, ihr Ruhm verblasst, ihre Liebe scheitert und sie geht schließlich sogar zurück auf die Farm. Dorthin, wo alle alten Familiengeheimnisse lauern. Wo noch eine ihrer Schwestern lebt.

Nach und nach entblättert sich die Lebensgeschichte und auf den letzten Seiten des Buchs schließt sich noch ein bis dato nur in Ansätzen beschriebenes Drama.

Ein wunderbares, einfühlsames Buch. Manche Sätze wie "Meine Leistung ist es, so lange gelebt zu haben, dass ich mein eigenes Leben verschwinden sehe" möchte man sich einfach nur merken oder zumindest eine Weile drüber nachdenken.