Überrennt sich selbst

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r.e.r. Avatar

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Es liegt in der Natur der Sache, dass jemand der 100 Lebenjahre überschreitet, aller Wahrscheinlichkeit die meisten seiner Wegbegleiter überlebt hat. So geht es auch Aganetha, der Heldin des Romans „Die Frau, die allen davon rannte“. Die 104jährige lebt in einem Altersheim in Kanada. Ihr Geist funktioniert noch einwandfrei. Ihr Körper jedoch, einst eine funktionierende Laufmaschine, macht nicht mehr mit. Im Rollstuhl fristet sie ihre Tage, einsam und unbeachtet abgesehen von der Zuwendung des Pflegepersonals, dass sie jedoch eher lästig findet. Eines Tages erhält sie Besuch von einem jungen Paar, dass die alte Dame für einen Dokumentarfilm interviewen will. Aganetha war die erste weibliche Olympiasiegerin über 800m. 1928 bei den Spielen in Amsterdam holte Sie für ihr land die Goldmedaille. Das Reporterpaar scheint sich jedoch weniger für diesen historischen Sieg als vielmehr für die Familiengeschichte von Aggie zu interessieren. Und so beginnt eine Reise in die Vergangenheit, bei der sich nicht nur die alte Dame den Geistern ihrer Wegbegleiter stellen muss.

Mich hat Carrie Snyders Debut enttäuscht. So interessant mutete der zugrunde liegende Plot an. Eine vergessene Olympiasiegerin. Pionierin in ihrem Sport. Dazu eine geheimnisvolle Familiengeschichte, die viel Spannung versprach. Etwas von allem steckt in dem Buch, aber zu wenig und zu ungeordnet um wirklich zu fesseln. Snyder springt vom Hier und Jetzt in die Vergangenheit. Hin und Her purzlen die Jahrzehnte mal aufwärts, ohne dass der Leser sich irgendwo einhaken kann.

Gerade erst begleitet man die 10jährige Aggie 1918 auf den Friedhof, wo Sie mit der älteren Schwester Fannie die Gräber der 6 bereits im Kindesalter gestorbenen Stiefgeschwister besucht. Und schwupps befindet man sich schon in 1924, als Aggie in Toronto in der Fleischfabrik arbeitet bevor sie vom örtlichen Pralinenhersteller für seine Leichtathletik Damenmannschaft entdeckt wird.
Es ist schade, dass Snyder so wenig aus dieser Fülle von hervorragenden Ideen macht, das sie nirgends verweilt. Was man allein aus der Mutter von Aggie hätte machen können. Einer Heilerin und Hebamme, die kräuterkundig die medizinisch schwach versorgte Landbevölkerung umsorgt.

Der Titel des Buches scheint Programm. Nicht nur die Heldin rennt davon, desgleichen die Autorin. So muss man sich die Zusammenhänge als Leser mühsahm zusammenstückeln. Glücklicherweise steht zu Beginn des Buches eine Ahnentafel mit Geburt- und Sterbedaten Aggies Familie. Sonst wäre man im Dickicht der sich häufenden Todesfälle völlig verloren. Anhand der Ahnentafel kann man zumindest rastern, wann die Geschichte gerade spielt, wer noch lebt und wer bald sterben wird.