Zu Herzen gehende, schicksalhafte Geschichte

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lunamonique Avatar

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„Die Frau, die allen davonrannte“ ist, nach zwei Büchern mit Kurzgeschichten, der erste Roman von Carrie Snyder. Wenige Wochen nach Erscheinen hat er es auf die Shortlist des Rogers Writers’ Trust Fiction Preises geschafft.

Die 104jährige Aganetha Smart erhält überraschend Besuch im Altersheim. Kaley und Max geben an, die alte Dame zu kennen und nehmen sie auf einen Ausflug mit. Aganetha freut sich auf das Abenteuer, das sie insgeheim einen Coup nennt. Was haben die Fremden vor und werden sie Aggie tatsächlich wieder zurückbringen?

Das Vorwort „Liebesgesang“ gibt auf humorvolle Weise Einblick in Aganethas Lebensabschnitt Altenheim. Sie ist nicht so schwerhörig wie alle denken. „Ich bin in einem Zustand, der schlicht wirkt. Aufs Nötigste zusammengestutzt. Reduziert. Eingedampft.“ Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus Sicht von Aganetha erzählt. Die Übergänge von heute zu damals sind oft fließend. Auch wird nicht gradlinig zurückgeblendet. Es gibt immer wieder Zeitsprünge. Trotzdem sorgt die Erzählweise nicht für Verwirrung. Dank der jungen und alten Aganetha fällt es leicht sich zurechtzufinden. Aggie ist eine berühmte Läuferin, die 1928 bei der Olympiade in Amsterdam die Goldmedaille geholt hat. Der Weg dorthin war harte Arbeit. Konkurrentin und Freundin Glad galt bei Wettbewerben immer als Favoritin. „Die Frau, die allen davonrannte“ erzählt nicht nur Aganethas Weg zu einer erfolgreichen Läuferin, sondern hauptsächlich die Geschichte der Familie Smart. Aggie fällt mit ihrem Bewegungsdrang und ihrer wilden Unbeschwertheit aus der Reihe. Immer wieder werden die Smarts mit schweren Schicksalsschlägen konfrontiert. Das Unglück scheint besonders die Kinder von Roberts erster Frau Tilda zu betreffen. Aganetha kennt keine Angstgefühle und geht bei ihren verrückten Turnvorführungen hohe Risiken ein. Ihre Leidenschaft gilt dem Laufen. Emotionen kann sie beim Rennen am besten verarbeiten. Aggies Lebensweg nimmt eine plötzliche Wendung. Ist das Glück zum Greifen nah?

Der, von der alten Dame willkommene Ausflug, wirkt wie in Zeitlupe erzählt. Besonders anfangs sind diese Abschnitte sehr unterhaltsam. Im letzten Drittel driftet der Roman ins leicht Düstere ab. Sprache und Erzählstil reißen von Anfang bis Ende mit. Schade, dass das Traurige zum Schluss hin mehr Raum einnimmt. Selbst in der 104jährigen Aganetha ist das Tollkühne noch nicht ganz verschwunden. Das und ihr ehrlicher Blick auf ihr Umfeld machen die alte Dame so sympathisch. Autorin Carrie Snyder weiß den Leser zu berühren. Die Überraschung zum Ende ist sehr wirkungsvoll platziert. Das Nachwort der Autorin bildet einen würdigen Abschluss für diese beeindruckende Geschichte.

Das Cover mit dem übermütigen Mädchen und der Farm als kleines Detail passt sehr gut zum Roman. Durch das künstlerische Farbenspiel wirkt das Buch kreativ und ungewöhnlich. „Die Frau, die allen davonrannte“ geht zu Herzen und bleibt im Gedächtnis.