Warten auf die große Stille

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marapaya Avatar

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Harmlos, sommerlich leicht wirkt das schmale Taschenbuch, dass ich in Händen halte. Selbst dieser endlos lange Titel macht sich freundlich aus auf dem Cover. Nach der Leseprobe habe ich eine anstrengende Erwartung an das Buch, ebenso wie die unterdrückte Hoffnung auf ein bisschen Weisheit, neue Impulse, wie ich mein Leben wohl einfacher angehen könnte. Nun, es ist von allem etwas dabei. In erster Linie aber ist der Text zu sperrig für mich. Ich versuche Yolandes Erklärungen zu ihrer Erfahrung mit der „Stille“ und „dieser Sache“ zu folgen, aber es gelingt mir nicht. Ich kann nicht einmal wiedergeben, worum es eigentlich geht. Wahrscheinlich könnte ich schon, wenn ich mir Mühe gebe, aber ich fühle, dass ich nicht will, oder doch?
Yolande wurde eines Tages von der Stille übermannt. Die Stille hat ihre Person ausgelöscht und sie Teil der großen Wahrheit des Lebens werden lassen. Yolande muss nicht mehr denken, fühlen oder entscheiden, sie kann sich einfach dem Fluss des Lebens hingeben und alles fügt sich, wie es soll. Das klingt herrlich und ist dennoch für mich nicht nachvollziehbar. Selbst der Unfalltod ihres Sohnes kann sie nicht aus der Stille reißen. Laurence Vidal kommt mit Yolande zusammen, weil sie einen Artikel über Yolande schreiben soll. Die beiden verstehen sich gut und aus dem Artikel wird ein Buchprojekt, welches über ein, zwei Jahre hinweg gedeiht. Laurence versucht Yolandes „Stille“ zu ergründen, stellt ihr Fragen, hakt nach und versucht selbst zu verstehen, was es mit dieser faszinierenden Person auf sich hat. Am Ende wird auch Laurence die Stille entdecken und damit Yolande endlich verstehen. Nur ich als Leser bleibe auf der Strecke und kaoiere nichts von alledem, kann den Ausführungen von Yolande einfach nicht folgen und bin genervt von „dieser Sache“.
Zu Beginn meines Studiums habe ich eine Arbeit über Meister Eckhart schreiben dürfen. Ich sollte sprachwissenschaftlich untersuchen, wie er Worte geschaffen hat, die heute für uns mit sehr viel Inhalt aufgeladen sind, die vor ihm noch niemand so nutzte, und die von Dingen sprechen, die nicht greifbar sind, die man nicht sehen oder anfassen kann – abstrakte Begriffe. Die Erinnerung an das schwerfällige Durcharbeiten seiner mystischen Texte, dem verzweifelten Versuch zu Erfassen, wovon er spricht und was er meint, wird durch das Buch dieser beiden Frauen wieder sehr lebendig. An das Ergebnis meiner Arbeit erinnere ich mich nicht mehr. Nur an die Momente, wenn ich dachte, jetzt habe ich verstanden, was er mir sagen will und meiner mich bekümmernden Unfähigkeit, dies Dritten wiederzugeben. Diese Gefühle finde ich in Laurence Vidals Schreiben wieder. Yolandes Erfahrung mag erzählt werden, aber sie bleibt für mich als Leser unverständlich. Ich nehme keinen Anteil an ihrer „Stille“, wohl aber an Laurence' Suche nach ihrem Weg der Erleuchtung. Manchmal fange ich eine Ahnung ein, wovon die beiden sprechen, aber sie verfängt sich immer wieder schnell in diesen ganzen sperrigen Formulierungen. Gegen Ende des Buches ermutigt Yolande jene, die die „Stille“ noch nicht erleuchtet hat, das Leben so zu nehmen, wie es kommt: „Sei im Einklang mit deinem Leben, deinen Wünschen, deinen Leiden, mit allem, was dir begegnet. So lebst du ganz und intensiv und einfach. So hältst du dich nicht für mehr, als du bist.“ (S. 142f.) Das ist die Essenz, die ich für mich aus dieser Lektüre ziehe und der ich gern zustimme. Laut Yolande gibt es ohnehin keine Anleitung, die einem zeigt, wie man sich als Person hinter sich lassen kann, um die in „Stille“ einzukehren. Halten wir uns also ans Leben.