Viel gelernt, aber wenig gefesselt gewesen

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laberlili Avatar

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Den ein oder anderen Leser könnte es verwirren, dass der ich-erzählende Chefermittler Nevzat in seinen Ausführungen immer mal wieder auf Vergangenes zu sprechen kommt, ganz so als sei dies nicht der erste Band um diesen Polizisten, aber: googlet man nur energisch genug danach und lässt sich auch frühere türkische Titel Ümits übersetzen, stellt man fest, dass dies wohl tatsächlich nicht der erste Nevzat-Roman ist. Fehlendes Vorwissen wird einem durch Nevzat zwar vermittelt, aber zugleich spoilert man sich so auch selbst und erwähnte frühere Fälle werden völlig uninteressant, da man nun deren Ausgang kennt etc. Ich hatte durchgängig das Gefühl, eher mittig in eine Reihe hineingestolpert zu sein und auch wenn ich mich letztlich nie alleingelassen in meiner Ahnungslosigkeit fühlte, auch alles klar nachvollziehen konnte: Vorher spielende Erzählungen sind für mich nun völlig uninteressant geworden.

„Die Gärten von Istanbul“ ist ein eher beschaulicher Krimi, was so gar nicht zu der Serienkiller-Thematik zu passen scheint; Angst und Grusel kam da nicht auf, letztlich würde ich auch nicht behaupten, dass ich sehr gespannt auf den Ausgang der Geschichte gewesen wäre, aber ich war daran dann zumindest doch sehr interessiert.
Aus der offiziellen Beschreibung geht ja schon hervor, dass es hier schließlich um sieben Morde geht; das Buch hat etwas über 700 Seiten, sprich: mehr oder minder ein Mord pro 100 Seiten und ich habe auch fünf Abende an diesem Buch gelesen, weil ich kaum mehr als 100 Seiten täglich hiervon lesen wollte oder konnte. Dazu war mir die Geschichte stellenweise zu zäh und vor Allem war sie aber auch sehr mit der Historie Istanbuls gespickt; die kulturgeschichtliche sowie baugeschichtliche Vergangenheit der Stadt wurde immer wieder genau erwähnt: „Die Gärten von Istanbul“ beweist da durchaus Potential als Reiseführer der anderen, spannenderen Art. Diese Infos sind sehr umfassend, und für eine durchgelesene Nacht wäre mir das einfach zuviel Input gewesen als dass ich danach die diversen Monumente, Moscheen, Denkmäler… noch hätte auseinanderhalten können. Ich habe da einfach kurze Pausen gebraucht, um auch die Opfer noch unterscheiden zu können.
Hätte ich einen historisch fokussierten Reiseführer Istanbuls gewünscht, hätte ich mich über „Die Gärten von Istanbul“ sicherlich sehr gefreut; diese ganzen Einwürfe fand ich nun auch sehr interessant und lehrreich, aber die Mordserie verblasste hinter den Erzählungen über die Sehenswürdigkeiten der Stadt doch viel zu sehr als dass der Roman noch echte Spannungsliteratur gewesen wäre. Rein als Krimi betrachtet, würde ich den Roman eher als recht langatmig einstufen.

Stellenweise fand ich die Geschichte auch eher „merkwürdig“, einige Verhaltens- bzw. Vorgehensweisen der Polizei erschienen mir sehr seltsam, wobei ich das hier gar nicht groß kritisieren wollen würde, da ich befürchte, dass diese Dinge nicht der Fantasie des Autors, sondern örtlichen Fakten geschuldet sind. Grad den Kommissar Ali, Nevzats Assistenten, fand ich im Allgemeinen sehr ärgerlich und mit seinem Verhalten hätte er hierzulande wohl schon längst ein Disziplinarverfahren am Hals gehabt, aber: Die Handlung spielt eben in Istanbul und ich denke, dass meine Verwunderung da hauptsächlich in kulturellen, grundsätzlichen Unterschieden begründet liegt.

Das Ende fand ich prima umgesetzt; mit so einem Schluss hätte ich auch nicht gerechnet, nachdem vorher alles eher so gemütlich vor sich dahingeplätschert war und die Ermittler erstaunlicherweise die Ruhe selbst zu sein schienen; es wurde zwar ab und an erwähnt, dass sich das Polizistentrio Nevzat, Ali und Zeynep bis zur Erschöpfung verausgabte, um die Ermittlungen voranzutreiben, aber merkwürdigerweise strahlte nichts diese Hektik wirklich aus.
Mit etwas mehr „Stress“, mehr Spannung, mehr Eile und einem höheren Anteil Polizeiarbeit/Kriminalfall gegenüber der stadtgeschichtlichen Ausführungen wäre „Die Gärten von Istanbul“ ein Krimi ganz nach meinem Geschmack gewesen, aber so war es mehr ein dramatischer Stadtführer mit Mordserienanteil. Aber definitiv sehr zu empfehlen, wenn man auch stark an der Baugeschichte Istanbuls interessiert ist!