Täterjagd in Syrien

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"Die Diktatur duldet keine Unterschiede, geschweige denn Gegensätze. Sie erzwingt die Gleichmacherei, um Harmonie vorzugaukeln, aber was dabei entsteht, ist nicht Harmonie, sondern Monotonie, ödes Einerlei, Langeweile."

Als ein wichtiger Kardinal aus Rom während einer geheimen Mission im Norden Syriens ermordet und in einem Ölfass an die italienische Botschaft in Damaskus geschickt wird, steht Kommissar Barudi vor einem Rätsel. Eigentlich will er bald in Rente gehen, doch dieser Fall lässt ihm keine Ruhe, denn es kommen alle möglichen Verdächtigen in Frage. Zusammen mit seinem italienischen Kollegen Mancini macht sich der tapfere Kommissar auf die Suche nach der Wahrheit - Aberglauben, Staatsgewalt und Geheimdiensten zum Trotz.

Rafik Schami probiert sich hier an einem ganz neuen Genre, das ich aus seinem bisherigen Werk noch nicht kenne - einem Kriminalfall. Zwar entfaltet sich ein ziemlicher Flickenteppich an Hinweisen, Verdächtigen und Ahnungen, aber so richtig spannend wurde das für mich nie. Die Handlung drehte sich häufig im Kreis, wurde durch unglaubwürdige Zufälle vorangetrieben und am Ende wenig zufriedenstellend aufgelöst. Wer das Buch also als Krimi lesen will, wird sicher nicht glücklich werden.

Anders sieht es hingegen aus, wenn man die Geschichte als Kaleidoskop der syrischen Gesellschaft kurz vor dem Krieg liest. Niemand kann so von Syrien erzählen wie Rafik Schami. Das Land wird in seinen Büchern zum Sehnsuchtsort, und die Trauer über die Zerstörung dieser einmaligen Kultur und die Vertreibung so vieler Menschen wird greifbar. Hier leistet Schami eindeutig Kultur- und Vermittlungsarbeit. Sehr geschickt zeigt er, wie sich religiöse Konflikte immer weiter zugespitzt haben, wie Aberglaube und Angst die Menschen fest im Griff halten, wie der Islamismus Fuß fassen konnte und wie der Krieg zwischen Staatsmacht und Islamisten sine Anfänge genommen hat.

In diesem gesellschaftlichen Chaos müssen nun also die Kommissare Barudi und Mancini ermitteln, behindert durch zahlreiche Parteien, die alle unterschiedlichste Ziele verfolgen. Sie geraten in die Mahlwerke des Vatikan, der Ostkirche, der Sunniten, der machthabenden Alawiten, des omnipräsenten Geheimdienstes. Im Detail zeigt sich immer wieder Schamis großes Talent zum Geschichtenerzählen, denn die Gespräche zwischen den unterschiedlichen Personen sind spannend und aufschlussreich, Barudis Tagebucheinträge geben ganz intime Einblicke in sein Leben, und die immer wieder eingewobenen Geschichten über Aberglauben und Lebenswege machen den Roman so bunt und vielfältig. Außerdem erhält man sehr gute Einblicke in die Funktionsweise der Diktatur, die einige wenige Menschen bevorzugt und alle anderen in Schockstarre verfallen lässt.

Wieder einmal beweist Rafik Schami, dass er Geschichten erzählen kann wie Sheherazad und sein Heimatland Syrien so gut kennt wie sonst niemand. Meine Sehnsucht nach den Tausend Düften, dem guten Essen und der großartigen Kultur wurden geweckt - immer durchmischt mit dem schmerzhaften Wissen um den fast endgültigen Verlust all dieser Schätze.