Frauen als Gattinnen und Gebärmaschinen

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Bina Shah schafft in ihrem Roman eine dystopische Welt im ehemaligen Pakistan, welches durch den atomaren „Ultimativen Krieg“ zerstört und teilweise in der Stadt Green City wieder aufgebaut wurde. Durch einen HP-Virus kamen in den Nachkriegsjahren ein Großteil der weiblichen Bevölkerung um, weshalb die Frauen nun als Gattinnen mit mehreren Gatten verheiratet und als Gebärmaschinen genutzt werden. In diesen Plot, welcher ursprünglich aus einer Kurzgeschichte entstand, setzt die Autorin nun Sabine, eine Escortdame für Intimität ohne Sex.

Von dieser Geschichte hatte ich mir sehr viel erhofft, da sie in den Grundzügen sehr kreativ und neu wirkt; besonders bezogen auf die Lokalisierung in Vorderasien. Merkwürdig muten somit beim Lesen die Namen der Protagonisten an: Sabine, Ilona, Joseph, Julien. Bei Recherchen zum Originaltext fand ich heraus, dass es sich auch im englischen Original um diese Namen handelt. Der Übersetzerin kann also kein Vorwurf gemacht werden. Was aber in der Übersetzung meines Erachtens gelitten hat, ist der Titel des Buches, welcher im Englischen „Before She Sleeps“ heißt und inhaltlich besser zum Buch passt, als der deutsche Titel. Die Buchgestaltung ist dem Golkonda Verlag sehr gut gelungen. Das Cover spielt mit einem historischen, morgenländischen Frauenbild (sowohl bildlich als auch im übetragenen Sinne), mögliche bewusstseinverändernde Beeren und einem Schlafzustand. Alles, was auch das Buch zu bieten hat. Aus welchem Kunstwerk der Bildauschnitt für das Cover gentutz wurde, ist leider nicht aus den Verlagsangaben ersichtlich. Schade.
Sprachlich nutzt die Autorin ein mir nicht ganz nachvollziehbares Muster bei der Wahl der Erzählperspektiven in den verschiedenen Kapiteln. Sabine und ein anderes Mädchen sprechen aus der Ich-Perspektive, andere Kapitel sind als personaler Erzähler verfasst und begleiten unterschiedliche Personen. Auch wechselnd Kapitelüberschriften in ihrer Struktur, so heißen einige Kapitel „Tonbandaufzeichnungen von Ilona Serfati“ und ein anderes „Aufzeichnungen aus dem Audio-Diary von ilona Serfati“. Da wir uns im Roman in einer Zukunft mit selbstfahrenden Autos u.ä. befinden, erscheint die zweite Kapitelbezeichnung durchaus nachvollziehbarer.
Inhaltlich erscheint mir der Roman eher eine Novelle zu sein, die an tragische Missverständnisse wie bei Shakespeares „Romeo und Julia“ denken lässt. So wird trotz des feministischen Ansatzes der Autorin sehr viel Romantik eingebaut, die das Grundthema der Ausbeutung der Frau als Gebärmaschine zum Ende hin verwässert. Einige Plotentwicklungen sind dabei schwer nachvollziehbar, obwohl die Charaktere gut beleuchtet werden. Am Ende fühlte ich mich mit dem Stoff alleingelassen und hätte mir einen umfangreicheren Roman, der die sehr guten Ideen weiter ausbaut und näher beleuchtet, gewünscht.

Bei meiner Gesamtbewertung schwanke ich hier stark zwischen 3 und 4 Punkten. Shah entwirft eine interessante Dystopie, deren Potential jedoch nicht ausreichend ausgereizt wird. Da das Buch trotzdem eine gute Idee aufgreift, sehr gut geschrieben und somit schön süffig lesbar ist, sowie die Gestaltung inklusive dem Kapitellayout Golkonda sehr gut gelungen ist, entscheide ich mich für 4 Punkte.