Ich bin traurig

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
mistellor Avatar

Von

Eine wunderbare Serie geht zu Ende. „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ ist der vierte Band und leider damit auch das Ende der Tetralogie aus Neapel.
Dieser Band ist meines Erachtens der beste Band der Reihe. Spannend, bewegend, voller Emotionen und auch wieder politisch hochinteressant.
Das Buch ist, wie auch seine 3 Vorgänger wieder wunderbar geschrieben. Elena Ferrante gelingt es bei ihren Lesern ein schillerndes Kopfkino hervorzurufen. Vor dem inneren Auge entsteht Rione, ein Stadtteil Neapels, mit all seinen spannenden Menschen. Der Leser erkennt sofort die Figuren an ihren Beschreibungen und an ihren Charakterzügen. Die Leser haben durch die Vorgängerbücher ein ganzes Leben nicht nur mit den beiden Hauptfiguren erleben dürfen. Sie verstehen die Hintergründe, die ungesagten Gefühle, die oft seltsamen Taten und die nicht erklärbaren Gesetzes von Rione. Wir lernen viel über den Untergang eines Stadtteils, über Gewalt, Drogen, Rache und den Tod.
Aber vor allem erfahren wir sehr viel über Frauenfreundschaft. Nach diesem Buch bin ich überzeugt davon, dass Männer und Frauen sich extrem über das Leben einer Freundschaft unterscheiden. Ich denke, Frauen sind sich über ihre Gefühle bewusster, auch über die unterdrückten. Ich denke auch, dass Frauenfreundschaften sehr viel komplizierter sein können als Männerfreundschaften.
In diesem Buch erleben wir eine lebenslange Freundschaft zweier Mädchen, später Frauen, die geprägt ist von Verständnis, Liebe, Zuneigung und tiefer Intensität, aber auch von Unverständnis, Neid, Ärger, Konkurrenz und Bosheit, was nicht nur mit der unterschiedlichen Lebensentwicklung zu erklären ist. Die unterschiedliche gegenseitige Wahrnehmung vergiftet langsam die Freundschaft, schafft eine tiefe Kluft, die immer seltener zu überwinden ist. Ein entscheidendes tragisches Schicksal einer der Frauen entfremdet die beiden Freundinnen immer mehr. Leider liegt die Ursache der zwiespältigen Gefühle und das oft extreme Verhalten beider Frauen im Schweigen über ihre wahren Gefühle, in ihrer Unehrlichkeit und in dem sehr unterschiedlichen Alltag beider Frauen.
Wie viele Leserinnen in LovelyBooks habe auch ich einige sehr intensive Frauenfreundschaften, einige von ihnen bestehen schon viele Jahre. Natürlich habe ich schon während des Lesens überprüft, ob auch unter uns zwiespältige Gefühle existieren. Von meiner Seite konnte ich feststellen, dass ich das unglaubliche Glück habe in ehrlichen Freundschaften zu leben, in denen oft auch sehr deutliche Worte gesprochen werden, in denen viel nachgefragt wird, in denen wir ein ausgesprochen lebhaftes Interesse daran haben, dass wir uns wahrnehmen und fühlen können. Ich lebe und liebe in diesen Freundschaften. Meine Freundinnen nehmen mich wie ich bin, passen auf mich auf, sind ein fester und gern gesehener Bestandteil meiner Familie. Und bald wird es ein „Mädelsabend“ geben, an dem wir über dieses Thema reden werden, und mit den lieben Freundinnen, die wegen Entfernung oder Zeit nicht teilnehmen können, werde ich telefonieren.
Ohne meine Freundinnen wäre mein Leben unendlich ärmer.
Für dieses Buch möchte ich mich bei Elena Ferrante bedanken und gebe ihm natürlich 5 von 5 Sternen.