Krisenstimmung

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bluevanmeer Avatar

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Bis 2007 wuchs der "keltische Tiger" jedes Jahr. Doch die Finanzkrise traf Irland ziemlich hart. In Donal Ryans Debütroman kommen 21 Menschen zu Wort, die mit der großen Politik eigentlich wenig am Hut haben. Sie beschreiben ihre Hoffnungen, Wünsche, Träume in diesen schwierigen Zeiten der Krise - und am Ende geht es um Entführung und Mord.

Pokey Burke ist für alles verantwortlich. Der ehemalige Chef der örtlichen Baufirma hat sich einfach aus dem Staub gemacht und die Bewohner seines Heimatortes mit unfertigen Häusern und unbezahlten Gehältern zurückgelassen. Die Stimmung kocht schnell hoch in dieser kleinen Stadt und jeder der Akteur*innen hat eine etwas andere Sicht der Dinge. Doch dabei bleibt es nicht. Der drohende soziale Abstieg schlägt in Angst um und in Hoffnungslosigkeit.

"Ich habe gestern den ganzen Tag darüber nachgedacht, meinen Vater umzubringen. Es gibt Mittel und Wege, einen Mann umzubringen, ohne dass es nach Mord aussieht, besonders einen alten, gebrechlichen. Es wäre sowieso kein Mord, ich würde der Natur nur ein bisschen auf die Sprünge helfen. Es ist die pure Bosheit, die ihn am Leben hält." (S.14)

Da gibt es Bobby, der jeden Tag seinen alkoholabhängigen Vater besucht, nur um zu sehen, ob dieser noch lebt. Es gibt Bobbys Frau Triona, der alle irgendwann die Schuld geben. Und es gibt Frank, Bobbys Vater, der am Ende wirklich gar nichts für das ganze Schlamassel kann. Und obwohl es Probleme zwischen Vater und Sohn gibt, sind sich beide auch unglaublich ähnlich. Aber das merkt der Leser dann doch relativ spät. Ein Kind verschwindet, ein anderes Kind ist früher schon einmal verschwunden. Es kommen die örtliche Prostituierte zu Wort und Leiharbeiter aus anderen Ländern, die von Pokey Burke über den Tisch gezogen wurden. Das ganze Dorf ist betroffen - und trotzdem werden schnell Gräben gezogen.

"Pokey Burke? Sie seufzte. Ich sah sie an und zuckte mit den Schultern. Sie verdrehte die Augen zur Decke. Dann lächelte sie mich an, aber es war ein Lächeln, das Tut-mir-Leid bedeutet. Ich verstand die Wörter nicht, die sie dann sagte, aber ihre Stimme war freundlich. Während die Frau auf ihren Computerbildschirm schaute, flüsterte Schornie hinter mir ganz laut: "Hey, Chef, sie sagt, dass es dich ... gar .. nicht ... gibt! Und alle Männer und Frauen in der Schlange lachten." (S.34)


Donal Ryans schreibt in einer schlichten, schnörkellosen, manchmal harten Sprache. Seine Protagonisten sind verzweifelt, wütend, hassen ihr Leben. Und sind irgendwo auch in ihren Möglichkeiten gefangen. Besonders die Figur Bobby ist interessant. Er gerät in eine Abwärtsspirale, die er kaum beeinflussen kann und es ist fast rührend, wie sehr in seine Frau in einem späteren Kapitel verteidigt. So entdeckt man als Leser*in nach und nach ganz andere Seiten der Protagonist*en, die sie in ihren eigenen Monologen verschwiegen haben oder nicht offenbaren wollten. Vom Aufbau her, hat mich der Roman an Marktplatz der Heimlichkeiten von Angelika Waldis erinnert. Ryans schafft dadurch eine atmosphärisch dichte Erzählung, die durch die Vielstimmigkeit seiner Protagonisten einen spannenden Blick auf ein Land in der Krise und auf einen schicksalhaften Abend wirft. Es ist der harte, unnachgiebige Sound dieses vielstimmigen Chores, der mich überzeugen konnte. Und es hat mich umso mehr gefreut, dass sich am Ende die anfänglichen losen Fäden zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen lassen.