Künstler sind keine Familienmenschen?

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bluevanmeer Avatar

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"Er verstummt, sein Blick wandert zwischen ihr und der Leinwand hin und her, er fängt Wesentliches ein und hört doch kein Wort." (S. 23)

Bear Bavinsky ist ein Ausnahmekünstler. Seine Werke sind expressiv, schillernd, besonders. Ihm wird nachgesagt, er könne die Menschen auf eine ganz besondere Art darstellen. Sie erkennen, wie sie sind. Wenn er nicht zufrieden ist, verbrennt er seine Kunstwerke und beginnt von vorne. Aber nicht nur in seiner Kunst ist er so radikal. Sein Sohn Pinch lebt im Schatten des Vaters, genau wie Pinchs Mutter Natalie, die mit ihren eigenen Werken nie so erfolgreich sein wird, wie ihr Mann. Pinch versucht in Bears Leben eine Rolle zu spielen, dem Vater nachzueifern, dessen Talent und Können Pinch den Atem rauben. Schon früh beginnt er selbst zu Malen, versteckt aber seine Werke. Als er glaubt, dass die Zeit reif ist, präsentiert er seinem Vater stolz seine ersten Gemälde. Mit einem Satz zerschmettert Bear alle Träume und Hoffnungen des Jungen. Auch Jahre später kann sich Pinch nicht von diesem Schlag erholen.

Obwohl Bear immer eine Schwäche für schöne Frauen hatte und auch gerne Vater war, war er es immer so lange gerne, bis die Situation kompliziert wurde. Und eine spannendere und interessantere Frau auf ihn wartete. Pinch bleibt, trotz des Malfiaskos, das Lieblingskind des Vaters, in der Gruppe seiner zahlreichen Halbgeschwister ist er immer noch derjenige, der vom Vater auserkoren wurde, später einmal den Nachlass zu verwalten. In Bears Logik ist Pinch der einzige, der das kann. Vielleicht, weil er ihn nie offen kritisiert hat. Vielleicht, weil er nach wie vor, die schwierige Beziehung zu seinem Vater nicht aufgegeben hat.

Allerdings hat Pinch selbst alle Träume in der Kunstwelt etwas zu werden, aufgegeben. Er ist Dozent für Italienisch an einer mittelklassigen Sprachschule und schlägt sich so durch. Als Bear Bavinsky stirbt, hat Pinch endlich die Möglichkeit aus dem Schatten des Vaters zu treten, wenn auch anders, als erwartet...

Tom Rachman schreibt eine Geschichte über eine Vater-Sohn-Beziehung, die es in sich hat. Die komplexe Beziehung der beiden wird psychologisch sehr feinsinnig ausgelotet. Man kann förmlich spüren, was für ein unglaublicher Charakter Bear ist.Erst nach langer Zeit kann Pinch sich von seinem Vater emanzipieren, der doch in erster Linie, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen ging, nur Schutt und Asche hinterlassen hat. Es ist spannend, wie Rachman diesen Künstlertypen beschreibt. Bear Bavinsky ist ein Ausnahmetalent, aber menschlich und als Vater ein Totalversager. Der Konflikt mit dem Vater trägt den ganzen Text und bestimmt Pinchs Leben, der immer nach der Anerkennung seines Vaters strebt. Das sind Elemente, mit denen sich wahrscheinlich jede_r Leser_in sehr gut identifizieren kann. Das macht den Roman so fantastisch zu lesen. Die Lösung die Pinch findet, setzt der Geschichte die Krone auf. Grandios!