Eine Hallig als Exil
Es ist nie zu spät, seinen ersten Roman zu schreiben. Das mag sich diese Autorin gedacht haben, als sie mit »Die Gräfin« im Alter von achtundsiebzig Jahren ihr erstes Prosawerk veröffentlichte. Die Geschichte muss der Autorin wirklich sehr auf dem Herzen gelegen haben, dass sie sich nun doch noch dazu aufraffte, den Stift in die Hand zu nehmen und sie endlich zu Papier zu bringen. Laut den mitgelieferten Buchinformationen verarbeitet Irma Nelles in diesem Roman eine Erzählung aus Kindheitstagen. Das alles ist also schon ein Weilchen her, daher wagt es die Autorin, sogar einige real existierende und ihr aus der damaligen Zeit bekannte Personen auftreten zu lassen. Ob die eigentliche Geschichte, von der Irma Nelles hier berichtet, nun wirklich geschehen ist oder nicht und in welcher Form sie überliefert wurde, darüber kann man als Leser nur spekulieren. Jedenfalls ist es nicht unwahrscheinlich, dass in der Endphase des Zweiten Weltkriegs tatsächlich ein britisches Aufklärungsflugzeug über dem Wattenmeer Nordfrieslands in der Nähe der Insel Pellworm abstürzte und eine betagte Gräfin, die sich auf einer Hallig in eine Art Exil zurückgezogen hatte, den notgelandeten Piloten in ihre Obhut nahm.
Diese Gräfin steht dem NS-Regime kritisch gegenüber, doch bleibt ihr nichts als die Innere Emigration und stille Rebellion. So hört sie verbotene Lieder, liest verfemte Bücher – vielleicht nimmt sie gerade deswegen den Feind bei sich auf: zum Trotz.
Alles in allem geht sie ein ziemlich hohes Risiko ein, und es gibt Eingeweihte: Der Arzt, der den verletzten Piloten untersucht, die Haustochter Meta und ihr auf plattdeutsch parlierender Kutscher Maschmann. Kann sie ihnen vertrauen? Oder wird jemand aus diesem engen Kreis sie verraten?
Was bei dieser Lektüre für mich den eigentlichen Leseansporn darstellte, ist der etwas ungewöhnliche Schauplatz. Ungewöhnlich deshalb, weil ich selten Romane lese, deren Handlung an der deutschen Nordseeküste angesiedelt sind. Das verwundert mich etwas, bietet diese Region doch nicht nur atmosphärisch und landschaftlich sehr viel, sondern auch kulturell. Und eine Hallig, die bei Flut jedes Mal von der Außenwelt abgeschnitten wird, bietet reichlich Potenzial für ein spannendes Kammerspiel. Dergleichen, so viel sei verraten, bekommen wir allerdings nicht geboten. Ehrlich gesagt plätschert die Handlung mehr oder weniger vor sich hin. Zündstoff ist vorhanden, aber in die Nähe der Lunte verirrt sich bestenfalls ein harmloser Funke, der sie nicht zu entfachen vermag.
Im Ansatz erinnerte mich dieses Werk ein wenig an Uwe Timms »Die Entdeckung der Currywurst«, in dem ein Fahnenflüchtiger von einer verheirateten Frau auf dem Dachboden versteckt wird. Im Vergleich zu »Die Gräfin« ist Uwe Timms Umsetzung sicherlich stärker einzuschätzen, da das Konfliktpotenzial hier hinreichend ausgeschöpft wird, aber man darf nicht vergessen, dass Irma Nelles über weitaus weniger Erfahrung verfügt, immerhin handelt es sich bei diesem Roman um ihr literarisches Debüt, und die Autorin ist sichtlich bemüht, den Charakteren Tiefe und Individualität zu verleihen, allen voran über die innere Welt der Gräfin – ihre anti-nationalistische Haltung, ihre Beweggründe, den Feind bei sich aufzunehmen, sowie ihre geheimen Sehnsüchte und Ängste – erfahren wir sehr viel. Durch diese sorgfältige Charakterzeichnung wird die Gräfin als komplexe und vielschichtige Figur erfahrbar, und für so kurze Lektüre sind die ein oder anderen Andeutungen völlig ausreichend.
Wie bereits erwähnt, ist es vor allem der Erzählort, der mich bei dieser Lektüre besonders reizte, zumal es sich um eine Region handelt, die mir vertraut ist. Die bekannte Landschaft nun zwischen zwei Buchdeckeln wiederzufinden, machte für mich das größte Lesevergnügen aus, zumal man deutlich merkt, dass die Autorin in dieser Gegend aufgewachsen ist, nämlich auf der Insel Nordstrand. Mittlerweile lebt Irma Nelles bei München, aber ihre Erinnerungen an den Ort ihrer Kindheit verleihen diesem Werk auf jeden Fall Authentizität.
Wer solch eine Kulisse für seinen Roman wählt, sollte sich diese natürlich auch zunutze machen, und Irma Nelles gelingt es durchaus, die Atmosphäre einzufangen, wenngleich hier meiner Meinung nach sogar noch mehr drin gewesen wäre. Allerdings geht das schriftstellerische Niveau nicht über das Maß einer Unterhaltungslektüre hinaus, so ehrlich muss man sein.
Trotzdem habe ich dieses Buch nicht ungern gelesen. Die Geschichte ist durchaus erzählenswert, auch wird sie nicht unnötig in die Länge gezogen. Die Autorin begnügt mich mit rund hundertsiebzig Seiten und beschränkt sich auf das Wesentliche, also das, was ihr selbst wohl überliefert worden ist, ohne weitere Geschehnisse zwecks einer höheren Dramaturgie dazuzudichten, und das ist gut, denn ein größerer Umfang hätte dem Werk bestimmt geschadet.
So ist eine durchaus lesbare Lektüre herausgekommen, die einen sicherlich nicht vom Hocker reißt, aber trotzdem ein paar interessante Einblicke gewährt, sodass es sicher keine vertane Zeit ist, für etwa ein Stündchen in diese Geschichte einzutauchen.
Diese Gräfin steht dem NS-Regime kritisch gegenüber, doch bleibt ihr nichts als die Innere Emigration und stille Rebellion. So hört sie verbotene Lieder, liest verfemte Bücher – vielleicht nimmt sie gerade deswegen den Feind bei sich auf: zum Trotz.
Alles in allem geht sie ein ziemlich hohes Risiko ein, und es gibt Eingeweihte: Der Arzt, der den verletzten Piloten untersucht, die Haustochter Meta und ihr auf plattdeutsch parlierender Kutscher Maschmann. Kann sie ihnen vertrauen? Oder wird jemand aus diesem engen Kreis sie verraten?
Was bei dieser Lektüre für mich den eigentlichen Leseansporn darstellte, ist der etwas ungewöhnliche Schauplatz. Ungewöhnlich deshalb, weil ich selten Romane lese, deren Handlung an der deutschen Nordseeküste angesiedelt sind. Das verwundert mich etwas, bietet diese Region doch nicht nur atmosphärisch und landschaftlich sehr viel, sondern auch kulturell. Und eine Hallig, die bei Flut jedes Mal von der Außenwelt abgeschnitten wird, bietet reichlich Potenzial für ein spannendes Kammerspiel. Dergleichen, so viel sei verraten, bekommen wir allerdings nicht geboten. Ehrlich gesagt plätschert die Handlung mehr oder weniger vor sich hin. Zündstoff ist vorhanden, aber in die Nähe der Lunte verirrt sich bestenfalls ein harmloser Funke, der sie nicht zu entfachen vermag.
Im Ansatz erinnerte mich dieses Werk ein wenig an Uwe Timms »Die Entdeckung der Currywurst«, in dem ein Fahnenflüchtiger von einer verheirateten Frau auf dem Dachboden versteckt wird. Im Vergleich zu »Die Gräfin« ist Uwe Timms Umsetzung sicherlich stärker einzuschätzen, da das Konfliktpotenzial hier hinreichend ausgeschöpft wird, aber man darf nicht vergessen, dass Irma Nelles über weitaus weniger Erfahrung verfügt, immerhin handelt es sich bei diesem Roman um ihr literarisches Debüt, und die Autorin ist sichtlich bemüht, den Charakteren Tiefe und Individualität zu verleihen, allen voran über die innere Welt der Gräfin – ihre anti-nationalistische Haltung, ihre Beweggründe, den Feind bei sich aufzunehmen, sowie ihre geheimen Sehnsüchte und Ängste – erfahren wir sehr viel. Durch diese sorgfältige Charakterzeichnung wird die Gräfin als komplexe und vielschichtige Figur erfahrbar, und für so kurze Lektüre sind die ein oder anderen Andeutungen völlig ausreichend.
Wie bereits erwähnt, ist es vor allem der Erzählort, der mich bei dieser Lektüre besonders reizte, zumal es sich um eine Region handelt, die mir vertraut ist. Die bekannte Landschaft nun zwischen zwei Buchdeckeln wiederzufinden, machte für mich das größte Lesevergnügen aus, zumal man deutlich merkt, dass die Autorin in dieser Gegend aufgewachsen ist, nämlich auf der Insel Nordstrand. Mittlerweile lebt Irma Nelles bei München, aber ihre Erinnerungen an den Ort ihrer Kindheit verleihen diesem Werk auf jeden Fall Authentizität.
Wer solch eine Kulisse für seinen Roman wählt, sollte sich diese natürlich auch zunutze machen, und Irma Nelles gelingt es durchaus, die Atmosphäre einzufangen, wenngleich hier meiner Meinung nach sogar noch mehr drin gewesen wäre. Allerdings geht das schriftstellerische Niveau nicht über das Maß einer Unterhaltungslektüre hinaus, so ehrlich muss man sein.
Trotzdem habe ich dieses Buch nicht ungern gelesen. Die Geschichte ist durchaus erzählenswert, auch wird sie nicht unnötig in die Länge gezogen. Die Autorin begnügt mich mit rund hundertsiebzig Seiten und beschränkt sich auf das Wesentliche, also das, was ihr selbst wohl überliefert worden ist, ohne weitere Geschehnisse zwecks einer höheren Dramaturgie dazuzudichten, und das ist gut, denn ein größerer Umfang hätte dem Werk bestimmt geschadet.
So ist eine durchaus lesbare Lektüre herausgekommen, die einen sicherlich nicht vom Hocker reißt, aber trotzdem ein paar interessante Einblicke gewährt, sodass es sicher keine vertane Zeit ist, für etwa ein Stündchen in diese Geschichte einzutauchen.