Eine große Liebe in unruhigen Zeiten - Zeitgeschichte spannend und mitreißend erzählt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
gluexklaus Avatar

Von


Nach ihrer dramatischen Flucht aus Ostpreußen lebt Dora Twardy 1952 nun mit ihrer Familie auf einem Hof in der Lüneburger Heide. Doch wohl fühlt sie sich dort nicht. Mit der Bäuerin und Besitzerin des Hofes Frau Stübeck gerät sie regelmäßig in Konflikt. Dora bewirbt sich an verschiedenen Hochschulen für ein Studium der Tiermedizin. Lediglich die Ost-Berliner Humboldt-Universität lädt sie zum Vorstellungsgespräch ein. Dora entscheidet sich, mit Pflegetochter Clara nach Berlin zu ziehen. Dort erfährt die junge Frau, dass ihre große Liebe, der Fotograf Curt von Thorau, im Staatsgefängnis inhaftiert ist. Sie setzt alles daran, ihn besuchen zu dürfen. Doch der Preis dafür ist enorm hoch. Währenddessen wächst in der DDR die Unzufriedenheit im Volk. Es kommt zum Arbeiteraufstand, der auch für Dora gravierende Folgen hat.

Autorin Theresia Graw schreibt flüssig und klar. Ihr angenehmer und unkomplizierter Schreibstil ermöglichte es mir sofort, direkt in die Geschichte „einzutauchen“. Das ansprechende, melancholische Cover erinnert stark an das Titelbild des ersten Romans „So weit die Störche ziehen“. Erneut ist die Rückansicht einer Frau zu sehen, die diesmal gemeinsam mit einem Kind auf eine weite Landschaft blickt. Auf Anhieb ist zu erkennen, dass die beiden Romane zusammengehören.

Dora Twardy ist eine beeindruckende, starke Frau. Sie glaubt an Gerechtigkeit, gibt nicht auf, kämpft für das, was ihr wichtig ist. Vor allem anfangs wirkt sie ein wenig naiv, so ist sie fest davon überzeugt, dass sie in Ost-Berlin unbeschadet leben kann und dass die „Menschen in der DDR gleich und gerecht behandelt werden“.
Mit besonderem Ehrgeiz und viel Disziplin geht Dora ihr Studium an: „Es war keine Option, hier alles aufzugeben und reumütig nach Wielenstadt zurückzukehren, wenn sie ihren Traum erreichen und Tierärztin werden wollte. Sie musste weiter die Zähne zusammenbeißen und alle Widrigkeiten, die ihr in den Weg gelegt wurden, hinnehmen. Nur so konnte sie ihr Studium beenden. Und nur so hatte sie vielleicht noch eine Chance, Curt wiederzusehen.“
Zu Beginn begreift Dora noch nicht, wie stark die Menschen in der DDR vom Staat beeinflusst und kontrolliert werden. Sie als Tochter eines ostpreußischen Großgrundbesitzers steht durch ihre Herkunft erst recht unter besonders strenger Beobachtung.
Für ihre großen Liebe Curt ist Dora bereit alles zu tun. Was die enge Beziehung, die tiefe Verbindung der beiden ausmacht, wird in diesem Roman nicht direkt deutlich, die außergewöhnliche, starke Beziehung der beiden stand im Vorgängerband mehr im Fokus.
Gerade in der DDR muss sich Dora gegen staatstreue Genossen zur Wehr setzen, die ihr das Leben schwer machen. Aber sie trifft auch immer wieder auf Menschen, die ihre Qualitäten sofort erkennen, auf die sie sich verlassen kann und die sie unterstützen. Da auch die historischen Ereignisse eine wichtige Hauptrolle im Buch einnehmen, sind die Charaktere zwangsläufig nicht durchgehend vielschichtig gezeichnet. Manche Figuren sind nämlich nicht hauptsächlich durch ihre Persönlichkeit definiert, sondern durch das, was ihnen passiert oder durch ihre Aufgabe im „System“.

Was Dora 1952 bis 1954 in der DDR, an der Universität, während der Arbeiteraufstände und nach der Fußball-WM erlebt, das ist ohne Frage dramatisch, spannend, packend, oft regelrecht aufwühlend. Vor allem das Schicksal von Doras Bruder Erich, der stellvertretend für so viele Bürger der DDR steht, ging mir sehr nahe. Autorin Theresia Graw macht Zeitgeschichte unmittelbar begreiflich, emotional erfahrbar, für mich wirklich lebendig. Sie zeigt anschaulich am Beispiel ihrer Protagonisten, wie sich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung angesichts der Mangelwirtschaft immer mehr steigerte, warum es zum Arbeiteraufstand kommen musste und was die Ereignisse für die Menschen konkret bedeuteten.
Auch wenn das Ende vielleicht ein bisschen dick aufgetragen sein mag, passt es dennoch zum Buch. Denn zu einem bewegten Leben wie Doras gehört eben ein außergewöhnliches Finale und kein 08/15 Ende. „Die Heimkehr der Störche“ ist ein gelungener Schmöker, ein großes Lesevergnügen, das ich allen Fans des Genres nur ans Herz legen kann. Es empfiehlt sich allerdings, zunächst den mindestens genauso lesenswerten Vorgänger zu lesen, um alle Aspekte der Handlung komplett nachvollziehen zu können.