Flöhe, Ratten und die Pest

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Die Henkerstochter und der Fluch der Pest, Historischer Kriminalroman von Oliver Pötzsch, 736 Seiten, erschienen im Ullstein Verlag.
Wieder befindet sich die Henkersfamilie Kuisl mitten drin in einem aufregenden Kriminalfall, erschreckende Parallelen zur aktuellen Corona-Krise.
Im Sommer 1679 breitet sich die Pest von Wien in Richtung Bayern aus. Der Schongauer Scharfrichter Jakob Kuisl wird von einem offensichtlich Pestkranken, dem Kaufbeurer Henker aufgesucht, der kurz darauf zusammenbricht. Bevor er stirbt, flüstert er Jakob Kuisl noch ein paar rätselhafte Worte ins Ohr. Zusammen mit seiner Tochter Magdalena und seinem Schwiegersohn, Simon dem Medicus macht sich der Henker auf nach Kaufbeuren um der Sache auf den Grund zu gehen. Wieder einmal begibt sich die Familie dabei in höchste Gefahr.
Das Buch besteht aus 25 längeren Kapiteln, die aber in überschaubare Leseabschnitte aufgeteilt sind. Die einzelnen Kapitel sind mit genauer Orts- und Zeitangabe versehen, somit ist der chronologische und räumliche Überblick an jeder Stelle des Buches möglich. Viele schlagfertige und mundartliche Dialoge, zum Teil in derber Sprache, machen das Geschriebene lebendig. Gedanken, bayrische Ausdrücke und fremdländische Phrasen sind kursiv kenntlich gemacht. Der Autor besticht mit seiner bildhaften Erzählweise, dadurch konnte ich mir die beschriebenen Figuren und auch das Setting genau vorstellen. Die auktoriale Erzählweise ermöglicht den Überblick über die Handlungen und auch Innenansichten der Charaktere sind möglich. Die Dramatis Personae am Anfang und die Ansicht der Stadt Kaufbeuren im Jahr 1679 waren sehr hilfreich. Zu Beginn ist die Sage des Rattenfängers von Hameln angeführt. Ich habe schon die meisten Bände der Henkerstochter Saga gelesen, deshalb waren mir die Hauptcharaktere vertraut, Lesefluss stellte sich sofort ein. Der Spannungsbogen zieht sich vom Anfang bis zum „explosiven“ Ende und ist gleichbleibend hoch. Die ganzen Intrigen und Untaten zu durchschauen, lies mich das Buch kaum aus der Hand legen. Da mehrere Familienangehörige an verschiedenen Orten ihre Abenteuer erlebten endeten die einzelnen Erzählstränge oft an den aufregendsten Stellen. Meine Lieblingsfigur der bärbeißige Grantler Jakob Kuisl, wie immer zupackend wenn es Not tut. Besonders faszinierend fand ich die Ursachenmeinung und Behandlungsmethoden der Pest in der damaligen Zeit. Da es noch bis Ende des 19.Jahrhunderts dauerte, bis der Erreger Yersinia Pestis eindeutig als Grund für diese Geißel der Menschheit bestimmt werden konnte, sind die Beobachtungen und Aufzeichnungen von Simon und Peter, vom Autor gut in die Geschichte eingebaut. Erschreckend finde ich, dass im zweiten Weltkrieg noch Pesterreger als biologische Waffen in Betracht gezogen wurden, wie der Autor im Epilog erläutert. Die Parallelen zur momentanen Pandemie und die beschriebenen Folgen (Ausgangsbeschränkungen, Einreiseverbote, Absage von Volksfesten usw.) hat Plötzsch bei seiner Arbeit am Buch, noch nicht wissen können, umso mehr finde ich es faszinierend wie erschreckend nahe er mit seinem Buch, der aktuellen Lage, jetzt über 300 Jahre später kommt. Da hatte Plötzsch seinen Finger ganz nah am Puls der Zeit und das Werk ist deshalb m.M. nach ganz besonders authentisch.
Der kleine Reiseführer für Kaufbeuren und Umgebung am Ende des Buches hat mir gefallen und lädt den Leser ein, sich das Setting einmal selbst anzusehen. Wieder einmal hat mich ein Band der Reihe begeistert und hervorragend unterhalten. Eine hervorragende Recherche kann ich nur bestätigen. Die Figuren sind gut charakterisiert und auch der Plot ist absolut nachvollziehbar. Von mir 5 Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.