Kaufbeuren im Lockdown

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Die seit dem Rat der Zwölf in München verbliebenen Familienmitglieder von Jakob Kuisl machen sich zu einem Besuch des Henkers nach Schongau auf. Auch Georg ist froh, dass der Vater etwas Abwechslung bekommt. Er wartet seit sieben Jahren darauf, dass dieser ihn zur Gesellenprüfung zulässt und er endlich selber der Henker wird. Es scheint so, als könne der Alte nicht loslassen. Dabei ist ihm das Alter längst anzumerken. Doch bevor die Familie ankommt, steht plötzlich der Henker aus Kaufbeuren in der Tür und gibt seinem Freund ein Rätsel auf. Die Neugier ist geweckt und der Henker schon fast in den Ermittlungen. Mit Hilfe von Magdalena und Simon erfährt er von toten Wachmännern, einem verschwundenen Henkersgesellen und macht Bekanntschaft mit hungrigen Ratten.

Die historische Reihe um den Schongauer Henker Jakob Kuisl ist definitiv ein lesenswerter Ausflug in die Vergangenheit. Oliver Pötzsch erzählt die Familiengeschichte als Rahmen für die Kriminalfälle, die der scharfsinnige Henker mit seinem Schwiegersohn Simon und seiner Tochter Magdalena aufklärt. Stets werden die Lebensbedingungen und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten des 17. Jahrhunderts einbezogen. Die Situation der Menschen in unehrbaren Berufen und dem zugewiesenen Stand wird nachfühlbar. In diesem achten Fall hat es der Henker mit der seinerzeit immer mal wieder aufkommenden Pest zu tun, was ebenfalls charakteristisch für die Zeit ist. In diesem Fall wird Enkelsohn Peter sogar mit dem Kurfürsten nach Wien geschickt. 1679 brach dort eine Epidemie aus. Reale Begebenheiten ergänzen auch in dieser Fortsetzung die fiktive Handlung.

Oliver Pötzsch hat mit der Henkersfamilie eine spannende Serie von historischen Kriminalfällen erschaffen. Aus dem beschaulichen Schongau heraus passieren immer wieder rätselhafte Dinge, die geklärt werden müssen. Die seit dem ersten Band angewachsene Familie platziert dabei scheinbar zufällig mindestens ein Mitglied mitten im Geschehen. In diesem Band zieht Peter als Freund des Kurfürstens von Bayern, den er kurz Max nennt, nach Wien. Wien erlebte seinerzeit einen verheerenden Pestausbruch. Das Leben des Enkels vom Henker ist in Gefahr. Aber auch seine Geschwister Paul und Sophia bringen sich immer wieder in bedrohliche Situationen. Nach acht Bänden ist die Familie ein Sympathieträger und man fiebert mit jedem einzelnen von ihnen mit, auch wenn sie Dinge tun, die man nicht so gutheißen würde. Ihr Handeln ist stets plausibel und aus ihrer Sicht auch verständlich.

Rund vier Wochen haben die Kuisls mit dem Fluch der Pest zu kämpfen. Dabei stellt der Autor die Lebensumstände des 17. Jahrhunderts dar. Die Familien mit unehrbaren Berufen hatten ihren Platz vor der Stadtmauer, was natürlich auch einen wunderbaren Beobachtungsposten abgibt. Der Henker musste sich ebenfalls mit der Heilung der zugefügten Wunden befassen, weshalb Kräuter und deren Wirkung ein großes Thema ist. Magdalena als Hebamme kann mit diesem Wissen auch mal ihrem Mann assistieren. Simon ist ein Verfechter der aufkommenden Hygieneregeln. Das traditionelle Tänzelfest in Kaufbeuren ist definitiv eine Infektionsquelle für die Seuche. Gerade in der heutigen Zeit ist dieser Roman aktueller denn je.

Die Handlung umfasst mehrere Stränge, die anfangs scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Bei drei Handlungsorten muss man sich auch immer wieder erinnern, dass die Kenntnis der Ereignisse möglicherweise noch nicht am anderen Ort angekommen ist. Damit werden Fährten gelegt, die mehrere Lösungen bereithalten könnten. Das unterstützt den Spannungsaufbau. Bei dem Seitenumfang war es mir leider nicht möglich, das Buch in einem Rutsch durchzulesen. Einmal eingetaucht, war meine Neugier nämlich geweckt und ich wollte unbedingt wissen, wer ein so großes Interesse am Tod dieser Personen hat. Es bleibt aber bis zum Schluss undurchsichtig, sodass man lange miträtseln kann. Je näher ich allerdings dem Ende komme, desto mehr wird mir bewusst, dass ich dann wieder einen Band ausgelesen habe und auf Nachschub warten muss. Außerdem sieht man dem alternden Henker die Mühen an, wenn er sich mal wieder durch Körperkraft aus einem Verlies befreien muss.

Der achte Band um den Schongauer Henker ist mit vielen Wendungen gewohnt temporeich. Historisch belegte Ereignisse bilden den Rahmen für die fiktive Krimihandlung. Die Liste der Verdächtigen ist lang und lässt erst auf den letzten Seiten die wahren Motive erkennen. Wer sich auf die Spuren des Henkers begeben will, findet im Nachwort nicht nur Erklärungen zur Historie, sondern auch einen Routenvorschlag. Die Reihe erhält definitiv eine Leseempfehlung.