Kontroverse Themen in bildhafter Sprache - reichlich Diskussionsstoff!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
caro.booklover Avatar

Von

Der Klappentext weckt unter Umständen die Erwartungen, man würde Nelson und Jonathans Freundschaft ihr Leben lang begleiten. In gewisser Weise tut man das auch, aber auf andere Art und Weise als zunächst gedacht. Das Buch beginnt 1962 in einem Pfadfinderlager in Wisconsin, wo Nelson Außenseiter und Mobbingopfer ist. Der etwas ältere Jonathan ist sein Gruppenführer und scheint stellenweise Mitleid mit ihm zu haben. Öffentlich bekennt er sich nicht zu ihm. Eine Freundschaft würde ich das daher nicht nennen. Dennoch bleiben sie in Kontakt und treffen im zweiten Drittel in den 90'er Jahren als Erwachsene mittleren Alters wieder zusammen. Die Erzählperspektive wechselt hier von Nelson zu Jonathan, der sich mit seinem jugendlichen Sohn Trevor wiederum auf dem Weg zum gleichen Pfadfinderlager macht. In einem weiteren Zeitsprung in die Gegenwart begleiten wir Trevors Sohn Thomas und dessen Mutter, Hauptschauplatz ist erneut das Pfadfinderlager, in dem der betagte Nelson der Leiter ist. Dieser letzte Abschnitt wird aus Sicht der Mutter erzählt. Mehr möchte ich zur Handlung nicht verraten.


In diesem Buch warten gewaltige, grundsätzliche Themen, zu denen jeder von uns seine Meinung hat oder sie sich spätestens während der Lektüre bildet. Mir hat der Austausch in der Leserunde sehr geholfen, diese Gedanken besser zu sortieren. Ja, es geht auch um freundschaftliche Werte, aber nicht so vordergründig, wie der Klappentext vermuten lassen könnte. Diskussionsanregend sind vielmehr auch die Themen Mobbing, Geschlechterrollen, Gewalt, Waffen und das Militär, Vater-Sohn-Beziehungen und die jeweiligen Erwartungen daran sowie generelle Vorstellungen von Moral in der jeweiligen Gesellschaft (zeitlich gesehen) und wie diese verteidigt werden können - in diesem Buch aufgezogen an den Wertevorstellungen der Pfadfinder. In jedem Abschnitt gibt es einen pubertären Jungen. Jeder von ihnen hat mit den unterschiedlichen Vorstellungen seiner Generation in irgendeiner Weise zu kämpfen - allen vorangestellt die Erwartungen ihrer Väter (bzw. im letzten Abschnitt der Mutter). Jeder der Jungen erfüllt mindestens eine dieser Erwartungen nicht, was natürlich zu Konflikten führt. In den daraus entstehenden Szenen beschreibt Butler die verschiedenen Ansichten, ohne sich merklich zu positionieren. Das Stellung beziehen bleibt ganz dem Leser überlassen. Den Jungen ist außerdem gemeinsam, dass ihnen in ihren jeweiligen Abschnitten sehr verschiedene, aber doch ein so einschneidendes Erlebnis widerfährt, dass eine charakterliche Veränderung bzw. Weiterentwicklung stattfinden MUSS.
Ein anderes für mich wiederkehrendes Thema in den drei Abschnitten war eine gewisse Perfektion nach außen, die letztlich nur Fassade ist. Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen und oft sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen.
Den Perspektivwechsel auf eine Frau im dritten Abschnitt fand ich überraschend, aber sehr gelungen. Der Gesamteindruck wird damit abgerundet und durch die weibliche Sicht erhält man nochmals einen anderen Einblick.
Für dieses Buch schadet es nicht, wenn man ein paar Dinge über die amerikanische Gesellschaft weiß. Die Haltungen der Protagonisten und Nebenfiguren und einige vordergründige Themen begründen sich hierauf. Wäre der Roman in Europa angesiedelt, wäre der ein oder andere Fokus sicherlich verschoben. Hierzu kann ich nur sagen: Offen sein und einen Eindruck erlangen, mit welchem Selbstverständnis uns fremde Werte oder Einstellungen verankert sind. Für mich wurde es über alle drei Generationen hervorragend widergespiegelt.

Fazit:
Von einigen Mitlesern/-rezensenten wurde die Fülle an Themen in nur einem Buch bemängelt - Ich finde das fast unumgänglich, wenn man ein vollständiges Bild über mehrere Generationen zeichnen will. Und ich unterstelle Butler einfach, dass er genau das wollte. Das Leben besteht eben leider nicht nur aus einem Problem nach dem anderen, denen man sich der Reihe nach widmen kann. Gerade in der Pubertät stürzen doch so viele Dinge gleichzeitig auf einen ein und jede/r versucht, sich selbst und den Platz in der Welt zu finden. Da geht es den drei Jungen nicht anders. Zusätzlich lesen wir hier von der Elterngeneration, die mit dem Aufwachsen ihrer Kinder auch verschiedene Phasen und Problemthematiken durchlebt. Aus meiner Sicht war es nicht zu viel und auch nicht verzettelt. Es ist kein Buch zum "mal schnell nebenbei lesen", denn es stößt viele Gedanken und im Austausch mit anderen Diskussionen über die verschiedenen enthaltenen Themen an. Dazu kommt die wunderbar bildhafte Sprache, die mich von Anfang an überzeugt hat. Unbedingt lesen!