Männer

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
pedi Avatar

Von

„Die Herzen der Männer“ – Nickolas Butler nähert sich ihnen auf sehr altmodische, uramerikanische Weise und gleichzeitig mit einem sehr progressiven, durchaus kritischen Blick.
Zentrum des Romans ist das Pfadfinderlager Chippewa in den Wäldern Wisconsins. Hier verbringt der kleine Nelson 1962 wie jedes Jahr seinen Sommer. Leidenschaftlicher und äußerst zuverlässiger und gewissenhafter Pfadfinder, der er ist, ist sein Ziel der Rang eines Adlers, eine der höchsten Auszeichnungen, die man durch Wissen und Arbeit in dieser Organisation erreichen kann. Aber auch hier im Camp sind solche Jungen, gerade wenn sie klein, sensibel und zurückhaltend sind wie Nelson, oft Zielscheibe für Hohn, Spott, böse Streiche oder regelrechte Attacken durch die anderen. Auch und gerade weil er von Lagerleiter Wilbour Whiteside protegiert wird und den Posten des Signaltrompeters innehat, der jeden Morgen das Lager weckt. Neben Whiteside ist es nur noch der ältere Kamerad Jonathan Quick, der, wenn auch etwas verschämt, Nelson hin und wieder beisteht. Aus dieser Kameradschaft wird sich eine lebenslange Freundschaft entwickeln, um die der Roman immer wieder kreist. Auch wenn sich die beiden nicht oft sehen und wenig gemeinsam haben, scheint das Band zwischen ihnen unverbrüchlich. Im Verlauf des Buches wird Nelson zu Whitesides Nachfolger als Lagerleiter und Jonathans Sohn Trevor wird genau wie der Enkel Thomas jeden Sommer in Chippewa verbringen – Teil zwei und drei des Romans spielen in den Jahren 1996 und 2009.
Neben der Freundschaftsgeschichte schaut Nickolas Butler, wie schon der Titel verrät, ganz tief in die Herzen der Männer. Und auch wenn es schon sehr lange ebenso Organisationen für Pfadfinderinnen gibt (die allerdings sehr lange statt Kanubau und Tontaubenschießen hausfrauliche Übungen zu durchlaufen hatten), wo könnte man das besser als im Pfadfinderlager. Männer unter sich, eine Einrichtung, die „die Förderung der Entwicklung junger Menschen, damit diese in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen können“ auf ihre Fahnen geschrieben hat. „Altmodische“ Tugenden wie Anstand, Redlichkeit, Disziplin, Zuverlässigkeit und die Leitlinie "Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als ihr sie vorgefunden habt". Auch wenn die Pfadfinderbewegung auf den britischen General Robert Baden-Powell zurückgeht und eine wirklich internationale ist, so verbinde ich sie immer in erster Linie mit den Vereinigten Staaten. Und in nahezu perfekter Weise repräsentiert Lagerleiter und Kriegsveteran Whiteside diese Ideale. Butler ist allerdings weit davon entfernt, dies zu heroisieren. Whiteside leidet unter Traumata, die der Krieg in ihm hinterlassen hat, nie hat er eine Familie gegründet, er lebt für sein Camp. Als Nelsons Vater die Familie verlässt, kümmert er sich um dessen Ausbildung in einer Militärakademie. Damit schafft er die nächste Generation eines vom Krieg gezeichneten Einzelgängers. Nelsons Einsatz als „Tunnelratte“ im Vietnamkrieg wird in bis ans Lebensende verfolgen. Jonathan hingegen wird heiraten und einen Sohn bekommen, Trevor. Aber auch er wird seine Familie, wie damals Nelsons Vater, verlassen. Wobei wir beim zweiten großen Thema dieses Romans sind. Wie verhalten sich Männer, die doch mit den großen Idealen groß geworden sind, im alltäglichen Leben, ihren Familien, und, ganz zentral, (ihren) Frauen gegenüber. Denn auch wenn das Buch „Die Herzen der Männer“ betitelt ist, sind es gerade die Frauen, denen die augenscheinliche Sympathie und Bewunderung des Autors gehört. „Mir wurde außerdem bewusst, als ich dabei war, diese 60 Jahre amerikanischer Geschichte nachzuvollziehen, dass es vor allem die Frauen sind, die unsere Kultur zusammenhalten. Es sind die Mütter, die die Familien zusammenhalten.“ So Nickolas Butler in einem Interview. Auch ihre Träume und Lebenspläne zerplatzen und sie sind es meist, die dann die Scherben zusammenkehren müssen. So gehört auch Trevors Frau Rachel das letzte Kapitel, in dem sie mit ihrem Sohn Thomas das Lager Chippewa aufsucht und dort mit Männer übelster Art zusammentrifft. Rassistisch, sexistisch, ungehobelt und eitel – Butlers Frage, auch wenn er sie nicht expliziert stellt, steht im Raum: Wo sind sie hin, all die hehren (amerikanischen) Ideale? Wie hat sich unsere Gesellschaft verändert, wie unser Umgehen miteinander? Dass er ihr Verschwinden betrauert, wird sehr deutlich. Das ist irgendwie altmodisch, aber gerade heutzutage, wo wir zum Beispiel die zunehmende Verrohung des Tons in den digitalen Medien bedauern, auch wieder hochaktuell. Und der herablassende, sexistische Umgang von Männern gegenüber Frauen ist ja durch die #Metoo-Debatte auch gerade wieder in der Diskussion. Nickolas Butler nimmt da durchaus Stellung, auch wenn das Buch nicht explizit gesellschaftskritisch oder politisch ist. Aber die Frage nach der Gültigkeit von Werten, die die Gesellschaft zusammenhalten, nach Kriterien für den Umgang miteinander, nach der Rolle, die gerade die Männer, die auf den Verlust ihre jahrhundertelangen Dominanz mitunter mit Verunsicherung und Aggressivität reagieren – das hebt dieses Buch über die reine Kindheits-, Freundschafts- und Generationengeschichte hinaus. Aber im Zentrum stehen diese schon. Und Nickolas Butler erzählt sie ruhig, schlicht und berührend.