Hexenprozesse, drastisch und realitätsnah

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In Cleftwater, dem malerischen, kleinen Örtchen am Meer, ist nichts mehr wie zuvor, als der Hexenjäger Makepeace (welch passender Name) dort Einzug hält und nach und nach mehrere Frauen verhaften lässt. Die Anklage lautet auf Hexerei.
Die stumme Hebamme und Hausdienerin Martha Hallybread wird unversehens in die Hexenprozesse hineingezogen, als erst ihre Kollegin Prissy mitgenommen wird und sie selbst aufgrund ihrer Kenntnisse des weiblichen Körpers dazu bestimmt wird, bei der leiblichen Begutachtung der mutmaßlichen Hexen zu helfen.
Martha ist eine bescheidene, zufriedene Frau von 47 Jahren, die ihren Herren wie einen Sohn liebt und ihrer Arbeit gerne nachgeht. Gleich im ersten Kapitel wird ihr Leben durch die Verhaftung der Küchenhilfe Prissy auf den Kopf gestellt, woraufhin sie ein Wachspüppchen hervorholt, das sie einst von ihrer Mutter geschenkt bekam und magische Eigenschaften besitzen soll. Mit dem „Atzmann“ in der Tasche kehrt sie zunächst einmal zu ihrem Alltagsgeschäft zurück und erlebt erste unschöne Dinge.
Aufgrund des eher nüchtern gehaltenen Schreibstils schleppte ich mich durch die ersten 120 Seiten, die die Lebenssituation der Protagonistin und das Dorf beschreiben, in dem sie lebt. Ich konnte mir Cleftwater und seine Bewohner nur schwer vorstellen und einprägen, was dazu führte, dass ich bei späteren Erwähnungen gewisser Figuren immer wieder einmal zurück blätterte, um zu überprüfen, ob ich gedanklich bei dem oder der Richtigen bin.
Der Rest des Buches wurde in meinen Augen dann aber besser, als es um die eigentlichen Hexenprozesse und Marthas Rolle darin geht. Das letzte Drittel sog ich in einem Rutsch auf.
Im weiteren Verlauf passt der nüchterne Schreibstil, da einem dadurch eine bedrückende, hoffnungslose Stimmung beim Lesen auferlegt wird. Margaret Meyer findet einerseits sehr malerische, stimmungsvolle Beschreibungen für kleine Details, wie das Rauschen des Meeres etc., während sie die eigentlichen Geschehnisse distanziert, aber schonungslos darlegt.
Marthas Unfähigkeit zu sprechen ist meiner Ansicht nach ein faszinierendes Stilelement, um die Schwierigkeit aufzuzeigen, sich als Frau Gehör zu verschaffen. Sie ist hin- und hergerissen zwischen eigenem Überlebensinstinkt und dem Wunsch, das ungerechte Martyrium zu beenden, durch das die Frauen gehen.
Das Ziel des Buches, einen drastischen, realistischen, historisch möglichst korrekten Eindruck von den Hexenverfolgungen zu vermitteln, ist auf jeden Fall erfüllt.
Der „Atzmann“, Marthas Hexenpuppe, spielt bis zum Schluss eine große Rolle für die Protagonistin aber ich habe ihre ambivalente Beziehung dazu und die Symbolik nicht immer auf den Handlungsstrang beziehen können.
Kein Problem, ich konnte trotzdem meinen Teil daraus mitnehmen und empfehle das Buch jedem, der kein Problem mit schwerer Kost hat und einen detailliert recherchierten historischen Roman zu schätzen weiß.