Alle sind miteinander verbunden

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buecherfan.wit Avatar

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Simon Van Booys Roman “Die Illusion des Getrenntseins” erzählt von wichtigen Momenten im Leben von sechs Charakteren und Schauplätzen so weit voneinander entfernt wie Los Angeles, Frankreich, Long Island und Manchester. Erzählt wird nicht chronologisch, und die einzelnen Geschichten sind in sich nicht komplett und hängen zunächst auch nicht zusammen.

Der Roman setzt mit dem Jahr 2010 ein. Martin, ein Mann Ende 60, ist Hausmeister im Starlight Retirement Home in Los Angeles und kümmert sich rührend um die Menschen, die dort ihren Lebensabend verbringen. Nach 34 Jahren Ehe wurde er Witwer. Über den größten Teil seines Lebens wird nicht berichtet, nur über seine Kindheit und Jugend und die Frage, die ihn sein ganzes Leben lang beschäftigt hat. Martin war ein jüdisches Waisenkind, das seiner Mutter 1944 im besetzten Paris von einem Unbekannten in die Arme gelegt wurde. Sie wird einen Bäcker heiraten, und ihrem Adoptivsohn erst davon berichten, als er in die Schule kommt. Als die Mutter für Heldentaten in der Résistance ausgezeichnet wird und einen großen Geldbetrag bekommt, geht die Familie nach Los Angeles und eröffnet dort ein französisches Café. Die Frage nach seiner Herkunft hat Martin nie losgelassen.

Zu Beginn des Romans wird im Altersheim ein Mr. Hugo erwartet, der gleich nach der Ankunft in Martins Armen stirbt. Mr. Hugo wiederum hatte sich in Manchester mit dem Nachbarsjungen Danny angefreundet, Sohn einer Nigerianerin, inzwischen ein berühmter Regisseu in Kalifornien. Eine weitere wichtige Romanfigur ist John Bray, ein amerikanischer Pilot, der 1944 in seinem B-42-Bomber über Frankreich abgeschossen wird. Er findet sich erheblich verletzt auf einem Schlachtfeld wieder und begegnet dort dem einzigen Überlebenden, dem deutschen Soldaten A. Ein Akt der Menschlichkeit inmitten all der Toten wird eine Kette von Ereignissen in der Zukunft in Gang setzen. Johns blinde 27jährige Enkelin Amelia arbeitet für das MoMA in New York und macht Blinden eine Ausstellung von in Frankreich gefundenen Fotos aus der Kriegszeit zugänglich. Unter den eingesandten Fotos ist auch eins, das eine junge Amerikanerin zu Kriegsbeginn zeigt und von Sébastien und Hayley eingesandt wurde. Sébastien hatte Johns Flugzeugwrack im Wald des elterlichen Grundstücks gefunden und seiner Freundin gezeigt. Das Foto zeigt Johns Ehefrau Harriet. Diese Details erfährt nur der Leser. Die sechs Protagonisten kennen die verborgenen Zusammenhänge nicht, werden sie auch nie erfahren.

In seinem sprachlich sehr schönen, oft poetischen Roman macht Van Booy deutlich, dass es Verbindungen zwischen den Menschen gibt, die uns nicht bewusst sind. Er vermittelt die tröstliche Botschaft, dass es keinen Grund für Ängste oder das Gefühl der Entfremdung gibt. Wir alle sind Glieder einer unendlichen Kette, sind miteinander verbunden, und unsere Handlungen haben unbekannte Auswirkungen auf andere. Der relativ kurze Roman bezieht einen guten Teil seiner Spannung aus der Frage, wie die verschiedenen Schicksale wohl zusammengeführt werden. Der Höhepunkt des Romans ist dann die Auflösung im besetzten Frankreich im Jahr 1944.

Der Roman liest sich gut, erfordert aber vom Leser Aufmerksamkeit. Manches wirkt etwas konstruiert, und der Autor legt manchmal ein bisschen zu viel Wert auf Bedeutsamkeit und tiefen, verborgenen Sinn, wenn er die großen Momente im Leben der sechs Protagonisten vorbereitet. Gelegentlich gelingt ihm die Gratwanderung zwischen emotionalen Höhepunkten und zu viel Sentimentalität nicht ganz, aber dafür wird der Leser durch poetische Passagen entschädigt, zum Beispiel, wenn Amelia über das Ende ihres Lebens nachdenkt (“…so wie wir eines Tages von einem letzten Lufthauch besiegt werden. und dann ist nichts mehr - nichts außer dem Duft unseres Lebens in der Welt, wie an einer Hand, die einst Blumen hielt.” S. 177).

Fazit: Mit geringen Abstrichen ist dies ein empfehlenswerter, sehr gut lesbarer Roman.