Das Leben ist nur eine Fassade

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majandra Avatar

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**1)       ** **Inhalt**

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Jacob Portman ahnt nichts Böses, als er von einem Tag auf den anderen aus seinem bisherigen – recht unkomplizierten – Leben herausgerissen wird und in eine Welt eintaucht, von der er nie auch nur zu träumen gewagt hat.

 

Seit dessen Kindheit erzählt Abraham Portman seinem Enkel Jacob immer wieder dieselben fantastischen Geschichten – von einer Insel, auf der nur Kinder mit besonderen Fähigkeiten leben, die fliegen können, sich unsichtbar machen oder unglaublich stark sind. Anfangs glaubt ihm Jacob natürlich, wie jedes Kind seinem Opa Glauben schenken würde. Mehr und mehr emanzipiert sich der Junge jedoch von den eigenartigen Behauptungen seines Großvaters und teilt ihm eines Tages mit, dass er zu alt für diese Kindergeschichten geworden ist. Ein Fehler, wie sich später herausstellt.

Tatsächlich behält der Großvater recht. Als er mit zunehmenden Alter in den Augen der Familie zunehmend wunderlich wird, ist es tatsächlich so, dass er von den Monstern, von denen er Jacob oftmals erzählt hat, verfolgt und schließlich sogar getötet wird. Jacob findet seinen Großvater im Sterben liegend mitten im Wald und erkennt ein abscheuliches Geschöpf, das für die Tat verantwortlich ist. Daraufhin erleidet er einen psychotischen Schock – jedenfalls will ihm sein Psychologe Dr. Golan das weismachen. In weiterer Folge versucht Jacob, das Gesehene irgendwie zu verarbeiten. Um das zu schaffen, besucht er gemeinsam mit seinem Vater eine Insel, auf der das Kinderheim steht, in dem sein Großvater seine Kindheit verbracht hat. Und tatsächlich trifft er dort auf die besonderen Kinder, die in einer Zeitschleife unter der Leitung von Miss Peregrine leben.

Jacob lernt, dass es die Kinder mit besonderen Fähigkeiten tatsächlich gibt. Zusätzlich zur gewöhnlichen menschlichen Rasse hat sich schon vor langer Zeit eine zweite Evolutionsstufe entwickelt, der diese Kinder angehören. Mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet, ist es ihnen nicht möglich, unter den gewöhnlichen Menschen zu leben, weil die Gefahr zu groß ist, entdeckt zu werden. Hinzu kommt, dass eine Sparte von besonderen Menschen vor langer Zeit versucht hat, den Schlüssel zum ewigen Leben zu finden. Das jedoch ist schiefgegangen, woraufhin diese Personen zu den Monstern geworden sind, die nun unsichtbar unter den Menschen leben und versuchen, die Besonderen zu finden, um sie zu töten und der menschlichen Daseinsform wieder näher zu kommen. Einer von ihnen ist Dr. Golan, der unter verschiedensten Identitäten stets unter den Menschen und vor allem in der Nähe von Jacob und seinem Großvater gelebt hat. So ist es ihm schließlich möglich, die Insel der besonderen Kinder und ihr Versteck ausfindig zu machen.

Letzten Endes wird Miss Peregrine entführt, kann jedoch gerettet werden. Sie ist aber nicht die einzige, der ein schlimmes Schicksal noch bevorsteht. Die Kinder entschließen sich dazu, ihre rettende Zeitschleife zu verlassen und im Jahr 1940 weiterzuleben, um die Gefahr der Monster ein für alle Mal zu bannen.

 

**2)       ** **Sprache / Stil**

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Das Buch ist außerordentlich spannend geschrieben und besteht hauptsächlich aus direkter Rede. Besonders interessant sind die Stellen, an denen die Kluft zwischen dem Leben der Kinder im Jahr 1940 und dem von Jacob im 21. Jahrhundert deutlich wird. Hier erfordert es besonderes Einführungsvermögen in die sprachliche Ausdrucksweise, die der Autor überzeugend auszuführen vermag.

Nicht nur Jacob, auch der Leser / die Leserin erfährt über einen mündlichen Bericht der Heimvorsteherin, was diese besonderen Kinder tatsächlich sind und wieso sie auf dieser Insel leben. Was der Hauptprotagonist Jacob nicht weiß, wissen auch die LeserInnen nicht. Dieser Stil bewirkt, dass die Aufmerksamkeit eines Lesers / einer Leserin stets aufrecht erhalten wird.

 

**3)       ** **Kritik**

 

Zu Beginn schließt man sich mehr und mehr Jacobs Meinung an, dass sein Großvater im Grunde nur versucht, die Erlebnisse aus der Kriegszeit aufzuarbeiten. Wie sein Vater sagt, handelt es sich bei den Monstern um die Nazis und bei der Insel um einen Zufluchtsort, den der Großvater in seiner Erinnerung im Laufe der Jahre immer mehr erhöht hat. Schließlich stellt man jedoch fest, dass es sich doch um ein Fantasy-Abenteuer handelt, in dem es tatsächlich Monster und besondere Kinder gibt. Der Übergang in Form dieser Überraschung ist in dem Werk wirklich gut gelungen.

 

Allerdings stellen sich auch einige Fragen, vor allem temporal-paradoxer Natur. Die Kinder leben am 3. September 1940 und erleben diesen Tag immer und immer wieder – aber nicht nur sie. Auch die Dorfbewohner sind in der Zeitschleife gefangen, wissen allerdings nicht darüber Bescheid. Sie vergessen am Ende des Tages alles und beginnen ihn am nächsten Morgen wieder neu, ohne jemals zu erfahren, dass sie seit Jahrzehnten eingesperrt sind. In wie weit eine solche Vorgehensweise tatsächlich moralisch vertretbar ist, wird in dem Werk nicht behandelt, obwohl Fragen nach Moral und Ethik von den ProtagonistInnen in anderen Situationen durchaus offen gestellt werden.

Daraus ergibt sich eine weitere Frage: Wie ist es möglich, dass die Zeitschleife und die Realität des 21. Jahrhunderts parallel zueinander existieren? Die Kinder verlassen den 3. September 1940 schließlich, jedoch nicht, um in der Realität weiterzuleben, sondern im Jahr 1940. Im Buch wird dieser Umstand jedoch so geschildert, als ob die Gegenwart aus Jacobs Leben dennoch weiterexistieren würde. Temporale Paradoxe wie eine Veränderung der Zeitlinie wird dabei nicht bedacht.

 

In Zusammenhang mit dem besonderen Kind Emma stellen sich ebenfalls einige ungeklärte Fragen. Einerseits besteht zwischen ihr und Jacob ein definitiver Altersunterschied von etwa 80 Jahren. Schon damals war Emma mit Jacobs Großvater Abraham liiert und hat die Trennung von diesem offensichtlich niemals vollständig überwinden können. Dennoch lässt sie sich auf eine romantische Beziehung mit Jacob ein, der sich nicht dagegen wehrt, sondern ganz im Gegenteil davon sehr begeistert ist. Als LeserIn jedoch behält man den enormen Altersunterschied stets im Auge – auch wenn erklärt wird, dass die Kinder aufgrund der Zeitschleife doch irgendwie Kinder geblieben sind.

Emma erklärt Jacob im Übrigen, dass es den Kindern nicht erlaubt ist, die Zeitschleife zu verlassen – nur hin und wieder ist es notwendig, dass einer der Bewohner nach draußen geht, um den Eingang zum 3. September 1940 offenzuhalten. Allerdings begegnet Jacob in der verfallenen Ruine des Kinderheims im 21. Jahrhundert einer ganzen Reihe von Kindern, von denen zwar schließlich nur Emma übrigbleibt, der er folgt, jedoch bleibt die Frage offen, wieso die restlichen Kinder ebenfalls in der Gegenwart gewesen sind – noch dazu genau zu dem Zeitpunkt, als sich Jacob dort befindet.

 

Der Roman ist durchzogen von zahlreichen Bildern – es handelt sich um Fotographien, die die einzelnen Kinder oder andere Protagonisten darstellen. Diese spielen für die Handlung des Buches eine große Rolle und lockern auch die Lektüre auf, außerdem sind sie außerordentlich interessant anzusehen. Der Roman folgt damit definitiv nicht dem Mainstream, was ihn zusätzlich zu einem spannenden Werk macht.

 

Unglücklicherweise hört das Buch eigentlich mittendrin auf. Ganz offensichtlich handelt es sich um einen Mehrteiler, zumindest jedoch um den ersten Band einer zweibändigen Reihe – viele Fragen bleiben offen und der eigentliche Kampf zwischen Gut und Böse ist noch nicht einmal im Ansatz begonnen oder gar aufgelöst. Allerdings ist auch das wieder ein Punkt, der für das Buch spricht – bis dahin ist die Handlung bereits so spannend, dass sich jeder, der den Roman gelesen hat, auch den zweiten Teil kaufen wird.

 

**4)       ** **Empfehlung**

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Wer Fantasy-Geschichten mag, wird auch dieses Buch lieben. Anders als andere Vertreter des Genres erarbeitet dieser Roman die durchaus nicht unbekannte Idee auf eine neue Art und Weise – als Erzählung, die eigentlich längst der Vergangenheit angehört, sich jedoch letztlich als ziemlich aktuell herausstellt. Die zahlreichen Fotographien untermauern nur, dass dieses Werk seine eigene Linie verfolgt – und das mit offensichtlichem Erfolg!