Ein Vater, vier Mütter, vier Söhne

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timphilipp Avatar

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Der Protagonist Gabriel Delacruz wächst als ausgesetzter Säugling im Barcelona der 40er/50er Jahre im katholischen Waisenhaus auf. Als LKW-Fahrer eines Umzugsunternehmens tourt er durch Europa. In Frankfurt, Paris, London und Barcelona hat er mit vier verschiedenen Frauen außereheliche Söhne, denen der Name Christof in der jeweiligen Landessprache gemeinsam ist wie auch, dass Gabriel den Kontakt zu ihnen im Kleinkindalter einstellt. Erst als Erwachsene, als Gabriel verschwindet, erfahren die Söhne voneinander. In akribischer Detektivarbeit finden sie gemeinsam die komplette Lebensgeschichte des Vaters heraus. Dabei verfolgen sie auch egoistische Motive: "Indem (wir) herausfinden, wie (er) gelebt (hat), lernen wir vielleicht besser zu verstehen, wer wir selbst sind." (S. 321) Nach umfangreichen Ermittlungen stellt sich Gabriel ihnen und uns als Frauenverführer, Pokerspieler und schlitzohriger Lebenskünstler dar, vor allem aber als ein Entwurzelter, dessen ständiges Unterwegssein bis zu dem für ihn so unheilschwangeren Jahr 1972 und dem sich daran anschließenden Verstecken vor der Welt eine "Folge seiner unbehausten Kindheit" (S. 44) ist; die ständige Flucht ist seine Heimat (S. 277). Umso positiver ist, dass Gabriel, dem weder Mutter- noch Vaterliebe vergönnt waren, seine Söhne immer geliebt hat. Das bringt er in der Auswahl gleicher Vornamen zum Ausdruck. "Christóbal … ist für" ihn "ein anderes Wort für Glück. Oder besser gesagt eine Möglichkeit, im Leben Glück zu haben" (S.601).

Auf immerhin 603 Seiten erzählt der Autor in fesselnder und sehr lebendiger Weise die Lebensgeschichte seines Protagonisten. Dabei bedient er sich verschiedener Schreibtechniken: Er lässt sämtliche am Leben Gabriels Beteiligten abwechselnd zu Wort kommen, die Christofs sprechen sowohl einander als auch den Leser direkt an, es finden häufige Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit statt. So wie sich Gabriels Leben in zwei wichtige Abschnitte teilt, tut es auch das Buch insgesamt. Die erste Buchhälfte erzählt ausführlich und bedächtig von Gabriels rastlosen Jahren bis zum Jahr 1972. Die zweite Buchhälfte widmet sich ihm, dem jetzt Untergetauchten bis zum etwa 60. Lebensjahr und gibt in raschem Tempo rasante und letztlich überraschende Entwicklungen wieder. Gefallen hat mir an dem Roman auch, dass er viele zeitgeschichtliche Informationen vermittelt, die weiterer Nachforschungen wert sind, z.B. das Leben unter dem Franco-Regime oder die Studentenunruhen in Paris 1968.

Es lohnt sich wirklich, dieses Buch zu lesen.