Innenleben eines Menschen ist das bestgehütete Geheimnis der Welt

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brenda_wolf Avatar

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Eine irre Geschichte! Die Geschichte von Gabriel Delacruz und seinen Söhnen. Es sind vier Halbbrüder, Söhne von vier verschiedenen Frauen. Als Möbelpacker bereist der Spanier Gabriel Delacruz mit seinem Umzugsunternehmen halb Europa und zeugt in vier verschiedenen Ländern jeweils einen Sohn. Alle seine Söhne tragen den Namen Christoph, angepasst an die jeweilige Landessprache, da gibt es einen Christof in Frankfurt am Main, einen Christopher in London, einen Christophe in Paris und einen Cristòfal in Barcelona. Nahezu dreißig Jahre haben die Söhne von ihrem Vater nichts mehr gehört. Dann kommt nach 27 Jahren ein Beamter zu Cristòfal und fragt, ob er einen Gabriel Delacruz kenne, er gilt als vermisst, seine Miete und die laufenden Kosten für Strom, Gas, Wasser wurden seit einem Jahr nicht mehr bezahlt – der Eigentümer hatte die Polizei verständigt. Auf dem Nachttisch fand sich ein Zettel mit vier Namen, einer davon war der von Cristòfal.

Seit dem haben die Brüder zu einander Kontakt aufgenommen und treffen sich nun in regelmäßigen Abständen. Sie machen sich gemeinsam auf Spurensuche, zeichnen die Wege ihres Vaters nach, Schritt für Schritt, um ihn näher zu kommen, puzzeln seinen Lebensweg zusammen. Eine Frage beschäftigt sie brennend. Warum gab unser Vater uns diesen Namen? Bald schon ist ihr Fazit: Unser Vater war ein zwanghafter Lügner gewesen, aber“ je länger du ihm anschaust, desto mehr hypnotisiert er dich.“

Zweifellos ist Gabriel Delacruz ein interessanter Charakter. Im Oktober 1941 wurde er von einer Kabeljau-Verkäuferin vor der Markthalle als schreiendes Bündel aufgefunden und gestillt. Als Findelkind wuchs er im Waisenhaus bei Ordensschwestern auf. Den Zeitungsausschnitt über das ausgesetzte Kind vor der Markthalle trug er später in seiner Brieftasche immer bei sich.Mit seinem Freund Bindo, der mit ihm zusammen im Waisenhaus aufwuchs, verbindet ihn eine tiefe Freundschaft, die ein ganzes Leben lang hielt.

Als Dreiergespann waren er und Bindo mit ihrem Kollegen Petroli auf den Straßen Europas unterwegs. Irgendwann fingen sie an, sich von den Umzügen jeweils etwas abzuzweigen, Koffer verirrten sich, Kisten fielen vom Laster. Sie wurden zu Piraten der Landstraße. Ein anderer Kollege brachte Gabriel das Tricksen beim Kartenspiel bei.

Jordi Punti schreibt in einer sehr schönen, bildhaften Sprache, er lässt lebendige Charaktere vor unseren Augen erstehen. Man fühlt sich versetzt in die Zeit der Franco-Diktatur, erlebt die 60/70ige Jahre in verschiedenen Ländern Europas. Komischerweise wächst einem dieser Gauner Gabriel ans Herz. Erstaunt hat mich, dass seine Söhne ohne Verbitterung von ihm sprachen. Hätte man da nicht einen gewissen Hass auf diesen abwesenden Vater entwickeln müssen? Es war schließlich eine Zeit, in der es Frauen nicht leicht gemacht wurde ein Kind ohne Vater aufzuziehen. Darunter hatten sicherlich auch die Söhne zu leiden.

Einer meiner Lieblingssätze stand auf Seite 532: „Wir glauben, die Leute zu kennen, die uns umgeben, und ihre Gefühle einschätzen zu können, aber da täuschen wir uns gewaltig. Das Innenleben eines Menschen ist das bestgehütete Geheimnis der Welt, ein Kämmerchen mit gepanzerten Wänden.“ Ein weiterer schöner Satz- ich weiß aber nicht mehr wo ich ihn im Buch gefunden habe: „ Der Lauf Zeit verformt unweigerlich die Realität."

Fazit: Eine tolle Romanidee gut umgesetzt. Es geht um Verlorengehen und Wiederfinden, um Wurzelsuche und Entwurzelt sein. Einziger Minuspunkt. Der Roman hat einige gravierende Längen. Man muss als Leser schon sehr viel Geduld und Durchhaltevermögen aufbringen, um weiterzulesen - trotz der schönen Sprache – aber es lohnt sich.