Mordshitze

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marapaya Avatar

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Ein Krimi ist ein Krimi und gleicht allen anderen Krimis, so denke ich meistens, bevor ich ein neues Buch diesen Genres beginne. Und tatsächlich gleicht der Aufbau sich in den meisten Fällen, besonders wenn der Roman dann auch noch in Deutschland spielt. Die Strukturen der Kriminalkommissariate und SoKos etc. sind nun einmal in den Bundesländern alle gleich und die Kombinationsmöglichkeiten an Ermittlerduos ebenfalls überschaubar. Oliver Kern hat sich einiges einfallen lassen, um trotz der vorgegebenen Beamtenstrukturen frischen Wind in den deutschen Krimi zu bekommen. Seine Ermittlerin ist eine angespannte Person, die vor einem halben Jahr ihren Vorgesetzten und Mentor fast durch einen Herzinfarkt verloren hat und nun die Abteilung in den mitarbeiterarmen Sommermonaten leitet. Seit kurzem muss sie auch noch ohne Führerschein auskommen und sieht ihren Stressspiegel durch die unberechenbaren Busfahrten um ein Vielfaches erhöht.
Nahe Waiblingen bei Stuttgart wird eine männliche Leiche auf dem Land entdeckt. Der zurückgezogen lebende Pensionär wurde mit einer Axt nahezu zerstückelt und ihm zudem das Bauchfett heraus getrennt. Nach zwei, drei Wochen mit anhaltenden Temperaturen um die 30 Grad bietet sein Anblick mehr Ähnlichkeit mit einem Madenhaufen als mit dem eines Menschen. Egon Osswald war früher eine Heuschrecke, seit Jahren lebt er vereinsamt in seinem Haus und sammelt Todesannoncen an seinen Kellerwänden. Wen hat er wohl so verärgert, um diesen Tod zu verdienen? Kristina Reitmeier wird mit dem Fall betraut, ihr Team ist saisonal bedingt sehr ausgedünnt und sie äußerst schlecht gelaunt. Das Autofahren fehlt ihr zum Dampf ablassen und statt dem Mörder auf die Spur zu kommen, sammeln sich neue Leichen an, die alle seine Handschrift tragen. Was kann ein Mensch nur widerliches mit dem Bauchfett anderer Leute anfangen wollen?
Der Polizeidirektor will eine schnelle Aufklärung des Falles und stellt Kristina einen jungen Kommissaranwärter als Chauffeur zur Seite. Daniel Wolf wartet beurlaubt und liebeskrank auf sein Disziplinarverfahren, als einfacher Fahrer verhält er sich nur die ersten fünf Minuten, zu sehr kribbelt ihn der Spürsinn in der Nase und mehr als einmal bringt er sich als auch seine neue Chefin in arge Bedrängnis.
„Die Kälte in dir“ ist ein gut gewählter Titel für diesen Krimi, er kontrastiert die Hitze im Roman eindrücklich und bildet gleichzeitig eine Art roten Faden für die Handlung. Der Mörder wird von seiner eigenen Kälte innerlich aufgefressen, doch auch Kristina Reitmeier hat Probleme mit niedrigen Temperaturen und scheint sich regelrecht vor klimatisierter kalter Luft zu fürchten. Sie und Daniel bilden ein interessantes und gleichermaßen bekloppt waghalsiges Team, das dem Leser sowohl Unterhaltung als auch fast zuviel Spannung zumutet. Ihre zwischenmenschliche Beziehung durchläuft innerhalb kürzester Zeit auf sehr unterhaltsame Art die verschiedensten Stadien, sie ergänzen sich gegenseitig in ihren Denkmustern und sorgen sich um den anderen, ohne sich dies vor sich selbst eingestehen zu wollen. Die körperliche Anziehung zwischen den beiden erfrischt mich als Leser, ich bleibe auch darum am Ball und verfolge die fett- und blutrünstige Handlung bis zu ihrem Showdown, weil ich wissen will, wie es zwischen Kristina und Daniel weitergehen wird. Das mag ein einfaches Spannungsmuster sein und nicht zwangsläufig dem Genre geschuldet, seine Wirkung verfehlt es bei mir nicht. Mord und Totschlag zeichnet jeden halbwegs guten Krimi aus, Einzigartigkeit vermittelt die Gestaltung der Figuren vor allem der ermittelnden Charaktere. Oliver Kern hat sein Ermittlerduo lediglich vorgestellt und, ganz Könner seines Faches, nur soviel Charakterzüge, Altlasten und Sehnsüchte angerissen, dass der Leser zur Befriedigung seiner Neugier wohl oder übel zum Nachfolgerband greifen muss.