Fesselnder historischer Roman aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges

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marionhh Avatar

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Westerwald, im 17. Jahrhundert: Die junge Johanna verliert in den Wirren des dreißigjährigen Krieges alles, ihre Familie und ihr Zuhause. In einer Nacht und Nebel-Aktion schickt ihre Nachbarin sie als Junge verkleidet zu einem unbekannten Onkel, der in Hilgert, im Kannenbäckerland, leben soll. Entgegen aller Widrigkeiten schlägt sich Johanna, nunmehr als Johann, durch und Onkel und Tante nehmen sie auf. Sie darf sogar das Töpfereihandwerk erlernen und zur Schule gehen und erweist sich als gelehrige und fleißige Schülerin. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis ihre Täuschung auffliegt…

Farbenprächtiger und spannender historischer Roman mit einer starken Hauptfigur und authentischen Charakteren. Der Roman hat alles, was man als Liebhaber des Genres braucht und überzeugt mit seinen Beschreibungen der Lebensumstände der Menschen im historischen Kontext, ihr Kämpfen ums Überleben, aber auch ihren Zusammenhalt. Dabei geht es weniger um detaillierte politische Hintergründe oder historische Persönlichkeiten und Ereignisse als vielmehr um das Leben und Lieben des „einfachen Volkes“, um dessen Gottesfurcht, um das Aufblühen des Töpferhandwerks und dessen gut recherchierte Prozesse sowie natürlich das Erwachsenwerden der Hauptfigur Johanna. Mit ihr ist der Autorin ein wahrhaft meisterlicher Charakter gelungen, die, wie die Autorin selbst, ihrer Heimat, dem Westerwald, der Natur und dem Glauben sehr verbunden ist, das merkt man beinahe auf jeder Seite. Mir persönlich war es manchmal zu viel der Gottesfurcht, andererseits passt es zu der Zeit und zu Johanna, die hier eine deutliche Entwicklung durchmacht und erst noch (oder wieder) zu ihrem Glauben finden muss. Alle Figuren sind durchweg sehr gut herausgearbeitete Charaktere, die fest in ihrer Zeit verhaftet sind, sie nehmen die Ordnung und die Schicksalsschläge als Gott gegeben hin, schmieden aber gleichzeitig stetig an ihrem Glück. Die Autorin beschreibt in sehr bildhafter Sprache und mit großer Sympathie für ihre Charaktere das wahre Leben, sie verschont sie nicht vor dem Schrecken des Krieges, vor dem Hunger und den Seuchen, den Plünderungen und Vergewaltigungen der feindlichen Soldaten. Auch Hexenprozesse finden ihren Platz.

Der Fokus der Handlung liegt klar bei Johanna und deren Leben ab ihrem 14. Lebensjahr, auf sie konzentriert sich die chronologisch erzählte Geschichte, aus ihrer Sicht wird erzählt. Andere Perspektiven gibt es nicht. Johanna ist eine eigenwillige Persönlichkeit, eine zähe und hartnäckige Person, die ihre Stärke jedoch erst mit den sie ereilenden Schicksalsschlägen entdeckt und die sich, bestärkt von ihrem Onkel, zu einer herausragenden Kannenbäckerin entwickelt. Die Geschichte greift hier zusätzlich und in großem Maße den Aspekt der Geschlechterrollen auf. Johanna kann sich als Junge besser durchschlagen, sie kann nur als Junge ein Handwerk erlernen und einer Zunft beitreten. Sie braucht den Leumund eines Mannes beim Prozess und ist nur als Ehefrau respektabel und finanziell abgesichert. Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist nahezu unmöglich, und dass Johanna das schafft, respektiert wird und einen Mann findet, der sie und ihre Unabhängigkeit fördert, grenzt an ein Wunder und freut mich als Leser, der mit Johanna von der ersten Zeile an mitgelebt hat.

Fazit: Sehr schöner und fesselnder Roman vor dem Hintergrund des dreißigjährigen Krieges, der das Erwachsenwerden und die Selbstfindung der Waise Johanna und ihre Liebe zum Töpferhandwerk beschreibt. Wer etwas über politische Hintergründe lernen will, sollte ein anderes Buch lesen; wer jedoch dem Kreislauf und dem Leben der einfachen Menschen folgen will, starke Frauen und dramatische Entwicklungen mag, der wird dieses Buch lieben! Eine gewisse Affinität zu Religion und Handwerk ist von Vorteil, aber nicht zwingend erforderlich. Eine hervorragende Lektüre zum Abtauchen in fremde Welten und alles in allem sehr gute Unterhaltung.